Als ich begann „Susanna“ von Alex Capus zu lesen, erwartete ich die Geschichte einer Frau. Doch wurde ich bereits auf den ersten Seiten überrascht, denn „Susanna“ ist mehr. Um zu verstehen worum es in „Susanna“ geht, benötigt man ein ausreichendes Hintergrundwissen über Kunst und Kunstgeschichte.
„Susanna“ ist ein Roman und dennoch nicht in Gänze fiktiv. Vielmehr muss man davon ausgehen, dass dieser Roman einen realen Hintergrund besitzt. Die Schweizer Malerin Susanna Faesch ist nicht fiktiv, das bedeutet für die gleichnamige Romanfigur gibt es eine real existierende Vorlage.
Die Figur der Susanna
Susanna Faesch ist eine Künstlerin, deren Werke weltweit gefeiert werden. Ihr Gemälde Sitting Bull ist eines ihrer berühmtesten Werke und zeigt ein kraftvolles und beeindruckendes Porträt des legendären Anführers der amerikanischen Ureinwohner. Susanna wurde 1844 in der Schweiz geboren und wurde stark von ihrer Umgebung und den Geschichten, die sie als Heranwachsende hörte, beeinflusst.
Dabei ist die Einstiegsszene in dem Roman besonders eindrucksvoll, da sie zeigt wie die damals 4-Jährige ihre Umgebung wahrnimmt. Ihr Vater, ein Söldneroffizier in französischen Diensten ist kürzlich von der Front zurück gekehrt.
Dabei wird schnell klar, dass er zahlreiche Probleme in das Haus der Familie mitbringt. Eindrucksvoll zeigt sich dies als Susanna gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren beiden älteren Brüdern ein Volksfest besucht und einen vermeintlichen Angriff abwehrt.
Ihr Vater richtet daraufhin im familiären Wohnzimmer über die 4-Jährige, die er selbst wie eine kleine Erwachsene betrachtet. Mit dieser Szene starte ich als Leserin in die aufwühlende Biografie und vielschichtige Figur der späteren Malerin.
Dabei handelt es sich bei diesem scheinbar biografischen Roman um mehr als die Biografie eines Kindes, das später zu einer bekannten Schweizer Malerin wird. Es handelt sich um die Familiengeschichte von Susanna, ihren Eltern und Karl Valentin.
Susanna selbst wird nämlich auch als Erwachsene noch von den Ereignissen ihrer Kindheit und dem Verhalten ihres Vaters geprägt. Tatsächlich macht dieser Roman recht anschaulich deutlich, welche Faktoren und Umwelteinflüsse auf die Entwicklung von Menschen einwirken.
Wer hinter diesem Roman eine einfache Geschichte erwartet, der muss wissen, dass es kein einfacher Roman ist, der klassisch unterhalten möchte. Es ist ein Roman, den ich eher der ernsthaften Literatur zuordnen würde. Trotzdem lässt er sich bei allem Anspruch gut lesen, wenn man sich für die Biografie der Malerin interessiert. Das Interesse muss also vorausgesetzt werden.
„Susanna“ von Alex Capus: eher ein ernsthafter Roman?
Falls ihr mich nun fragt, ob ich diesen Roman als empfehlenswert erachte, kann ich durchweg zustimmen. Allerdings dürfte dieser Roman nicht für jeden Leser gleichermaßen geeignet oder vielmehr unterhaltend sein. Dies liegt in der Tatsache begründet, dass es sich wie weiter oben bereits erwähnt, um einen überwiegend ernsthaften Roman handelt.
Die Wahl zwischen ernsthafter Literatur und unterhaltsamen Romanen kann manchen Lesern schwer fallen. Nicht alle Bücher passen genau in eine der beiden Kategorien, sondern liegen irgendwo dazwischen. Es gibt jedoch einige wichtige Unterschiede, die den Lesern bei der Entscheidung helfen können, welche Art von Literatur für ihre Bedürfnisse besser geeignet ist.
Ernsthafte Literatur konzentriert sich oft auf Themen wie Moral, Philosophie, Politik und den menschlichen Zustand. Die Erzählung hat normalerweise mehrere Bedeutungsebenen und kann manchmal ein erneutes Lesen erfordern, um vollständig zu verstehen, was der Autor vermitteln wollte.
Obwohl es vielleicht nicht leicht oder humorvoll ist, kann diese Art des Schreibens dennoch die Vorstellungskraft des Lesers anregen und durch kraftvolle Sprache und komplizierte Handlungen starke Emotionen hervorrufen.
Unterhaltsame Romane bieten eine andere Art von Leseerlebnis, bei dem der Schwerpunkt eher auf dem Geschichtenerzählen als auf der tiefen Erforschung von Ideen oder Themen liegt.
„Susanna“ von Alex Capus: Sprachlich anspruchsvoll, aber gradlinig
Als Autor spricht Alex Capus mit seinem Roman vermeintlich eine gebildete Zielgruppe an, was sich eindeutig auch im sprachlichen Anspruch darstellt. Die einzelnen Szenen sind überaus lebendig und ambitioniert.
Mit einer abwechslungsreichen Mischung aus kurzen, prägnanten Sätzen sowie langen und vielschichtigen Darstellungen ist es dem Autor gelungen, mich als Leserin schnell in die Geschichte hinein zu ziehen und trotzdem stets ein wenig darüber nachzudenken, ob wie viele verschiedene Arten man diese Geschichte wohl lesen kann.
Bei diesem Roman gibt es nämlich eine Besonderheit: die Geschichte, die Alex Capus hier erzählt lässt sich auf mehr als eine Weise lesen. Insbesondere Menschen, die sich mit dem Namen schon länger beschäftigt haben, fällt auf, dass es neben der Biografie auch noch das Motiv der Susanna, sodass sich diese Geschichte in vielen Facetten darstellt und man sie nicht nur einmal lesen kann.
Vielmehr hat man bei diesem Buch den Eindruck, man könnte es ohne Probleme mehrmals lesen und würde jedes Mal neue Facetten der Geschichte präsentiert bekommen.
„Susanna“ von Alex Capus: Biografie oder Motiv?
Wer sich für die Kunstgeschichte interessiert, wird vermutlich nicht zuerst an die Schweizer Malerin Faesch denken, sondern vielleicht eher an das Motiv, das in zahlreichen Bildern aufgegriffen wurde. Die Figur selbst, die auf den künstlerischen Darstellungen gezeigt wird, geht dabei zurück auf die griechische Mythologie und ist viel diskutiert.
Das Susanna-Motiv ist eine der beliebtesten Geschichten in Literatur und Kunst und taucht in Werken von der Bibel bis hin zu modernen Adaptionen auf. Die Geschichte dreht sich um Susanna und beschreibt, wie sie von zwei Männern, die sie aufsuchten, zu Unrecht des Ehebruchs beschuldigt wurde. Trotz ihrer Proteste wird Susanna vor ein Gericht gestellt, um verurteilt zu werden, nur um von dem weisen Daniel, der erkennt, dass die Ankläger lügen, Recht zu bekommen.
Im Laufe der Geschichte waren Schriftsteller von dieser Geschichte fasziniert und haben sie in verschiedene Formen der Literatur umgewandelt. Von Theaterstücken und Opern bis hin zu Romanen und bildender Kunst wie Gemälden oder Illustrationen ist die Geschichte von Susanna seit Jahrhunderten ein beliebtes Motiv.
Die besagten Darstellungen des Susanna-Motivs werden in diesem Roman allerdings nicht aufgegriffen, was gerade bei mir als Leserin zunächst für ein wenig Verwirrung sorgte, da ich tatsächlich mit einer etwas anderen Geschichte gerechnet hatte.
Meiner Lesefreude tat dies aber keinen Abbruch, vielmehr fand ich es beeindruckend, dass es Alex Capus gelungen war, mit dieser Romanbiografie die Geschichte einer Frau zu zeigen, die sich für die Emanzipation ebenso stark machte, wie für den Feminismus und das in einer Zeit, als diese beiden Themen noch lange kein Trend darstellten.
„Susanna“ von Alex Capus: Die Romanwelt
Anfangs wirkt es so als würde der Autor hier zwei entgegengesetzte Welten kreieren, doch tatsächlich schafft er in einer merkwürdigen Schwarz-Weiß-Welt zu beginnen und später in einer vielschichtigen, changierenden Welt zu enden. Dabei ist die Figur selbst Teil eines Gegensatzes den man so als Leserin oder Leser möglicherweise bereinigen möchte und der doch exakt jene Realität abbildet, die man aus der real existierenden Biografie der Malerin entnehmen kann.
Historisches Abbild einer Gesellschaft
Während ich diesen Roman gelesen habe, hatte ich den Eindruck, als würde der mir bekannte Autor ein Bild der damaligen Gesellschaft malen. Wobei man natürlich berücksichtigen muss, dass es weniger ein reales oder ein exaktes Abbild sein kann, als vielmehr die rückblickenden Eindrücke, die der Autor von jener Zeit gesammelt haben muss.
Handelt es sich also um eine gesellschaftliche Darstellung ? Nun, Scheidungen waren zu jener Zeit weder gängig noch verhalfen sie zum gesellschaftlichen Bestehen oder gar Aufstieg. Vielmehr kamen Scheidungen erst langsam nach dem 1.Weltkrieg auf, führten jedoch zu jener Zeit noch zu gesellschaftlichen Ausgrenzungen.
Über den Autor Alex Capus
„Alex Capus, geboren 1961 in der Normandie, lebt heute in Olten. Er schreibt Romane, Kurzgeschichten und Reportagen. Für sein literarisches Schaffen wurde er u.a. mit dem Solothurner Kunstpreis 2020 ausgezeichnet.
Bei Hanser erschienen Léon und Louise (Roman, 2011), Fast ein bisschen Frühling (Roman, 2012), Skidoo (Meine Reise durch die Geisterstädte des Wilden Westens, 2012), Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer (Roman, 2013), Mein Nachbar Urs (Geschichten aus der Kleinstadt, 2014), Seiltänzer (Hanser Box, 2015), Reisen im Licht der Sterne (Roman, 2015), Das Leben ist gut (Roman, 2016), Königskinder (Roman, 2018) und Susanna (Roman, 2022).“(Hanser Verlag)
Fazit zu „Susanna“ von Alex Capus
Nachdem ich selbst vor einigen Jahren den Autor einmal bei einer Lesung erleben durfte, war mir klar, dass ich auch jetzt nach einigen Jahren mal wieder zu einem seiner Bücher greifen würde. Als der aktuelle Roman „Susanna“ veröffentlicht wurde, sagte ich also zu, dass ich diesen Roman vorstellen wollte.
Gleichwohl ahnte ich von Anfang an, dass dieser Roman kein leichter und sogar kein rein unterhaltende Roman war. Ich ahnte, dass es sich um einen Roman handelt, auf den man sich einlassen muss, in dessen Geschichte man tief hineinschauen kann und den man möglicherweise sogar mehrfach lesen würde um ihn in Gänze zu erfassen.
Genau das macht für mich einen guten Roman im Bereich der ernsthaften Literatur aus. Genau das ist es aber auch, was sind für viele Leser als komplex oder anspruchsvoll darstellt. Aus diesem Grund ist der aktuelle Roman wie auch seine vorangegangenen Bücher keine Roman, den man zwischen Tür und Angel jetzt, um abzuschalten und nach einem stressigen Tag herunterkommt. Bei diesem Roman heißt es, sich vollständig darauf einzulassen und ihn dann zu lesen, wenn er zeitlich passt und man auch selber nicht zu schnell gestresst ist.
Wie bereits oben erwähnte Vielschichtigkeit macht diesen Roman einerseits zu einer besonderen Leseerlebnis, andererseits aber auch zu einer weitestgehend komplexen Darstellung, bei der man einen Moment braucht, bis man die ganze Tragweite der Geschichte begreift.
Genau deshalb bietet es sich auch an, diesen Roman nicht nur einmal zu lesen, sondern ihn um ihn in all seinen Facetten zu begreifen immer wieder zur Hand zu nehmen, ihn mehrfach zu lesen und zu begreifen, dass eben einfach nicht möchte: unterhalten.
Dabei ist es keinesfalls so, dass die Unterhaltung hier gänzlich ausfallen würde, nur bietet die unterhaltende Komponente darüber hinaus ein informative. Es geht um gesellschaftliche Betrachtung, um Normen, um Feminismus, Selbstbestimmung und viel mehr, dass das Leben von Susanna Faesch auszeichnete. Im positiven wie im negativen.
Susanna
Als ich begann "Susanna" von Alex Capus zu lesen, erwartete ich die Geschichte einer Frau. Doch wurde ich bereits auf den ersten Seiten überrascht, denn "Susanna" ist mehr. Um zu verstehen worum es in "Susanna" geht, benötigt man ein ausreichendes Hintergrundwissen über Kunst und Kunstgeschichte.
URL: https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/susanna/978-3-446-27396-2/
Autor: Marie Lanfermann
URL: https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/susanna/978-3-446-27396-2/
Autor: Alex Capus
ISBN: 978-3-446-27396-2
Veröffentlichungsdatum: 2022-07-25
Format: https://schema.org/Hardcover
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Vorteile
- ein Buch vor einem realen Hintergrund
- berührt emotional
- besitzt Tiefgang
Nachteile
- komplex