„Sturmflut – Mamma Carlotta ermittelt – Ein Sylt-Krimi“ von Gisa Pauly ist der mittlerweile 13. Fall der italienischen Nonna auf Sylt. Doch dieses Mal ist nichts so, wie es zunächst den Anschein hat und nichts so, wie es einmal war. Die sonst so lebenslustige aber manchmal etwas stille Carolin hat sich zurückgezogen, lebt nur noch in den Tag hinein und weiß mit sich und der Welt nichts mehr anzufangen. Mamma Carlotta nimmt dies bei ihrer Ankunft zunächst staunend entgegen, doch bereits wenige Zeit danach wird ihr klar, hier ist ihr pädagogisches Geschick gefragt.
Sie muss eine Aufgabe für Carolin finden. Doch dies war gar nicht so einfach, wie sie es selbst zunächst glaubte. Dann jedoch entdeckte sie durch Zufall einen Hinweis auf einem Literaturfestival auf Sylt und schon ist eine Idee geboren. Tatsächlich gelingt es ihr, Carolin von der Idee einer Teilnahme am Festival zu überzeugen. Zunächst etwas skeptisch spricht sie bei der Verlegerin, die das Event veranstaltet, vor, bietet ihr sogar ihre Hilfe als Freiwillige.
Mamma Carlotta ist natürlich mit von der Partie, schließlich möchte sie selbst die Verlegerin kennen lernen. Doch Antonia Schäfer ist alles andere als konzentriert. Während des ersten Treffens nimmt sie ein Telefonat entgegen, das sie gänzlich aus der Bahn zu werfen scheint.
Eine Entführung kommt selten allein
Wenig später erfahren Mamma Carlotta und Enkelin Carolin, dass die Tochter der Verlegerin, Lale Claussen, entführt wurde. Natürlich bieten sie ihre Hilfe an und bringen Antonia Schäfer zum Ort des Geschehens. Hier treffen sie auch auf den ermittelnden Hauptkommissar Eric Wolf, der gleichzeitig Carlottas Schwiegersohn ist. Für alle, die die Fälle kennen, in denen Mamma Carlotta ermittelt, wird nun nichts Neues kommen, denn natürlich ist Mamma Carlotta schon bald mittendrin im totalen Chaos und ausnahmsweise einmal darf sie nichts über die Entführung verlauten lassen. Überhaupt nichts, wenn sie das Wohl der Entführten nicht gefährden will.
Inkognito werden dann praktisch die ersten Ermittlungen durchgeführt. Wobei es Erik zutiefst erschreckt, dass Theo Claussen, der Vater der Verschwundenen, seinen Aufenthalt in den USA unterbricht. Doch die Suche bleibt ohne Erfolg. Die Hausangestellte ist auch nicht wirklich eine große Hilfe, scheint sie sich doch ständig selbst zu widersprechen. Wie glaubwürdig ist eine Zeugin, die sich nicht sicher ist, ob die Tür nun offen oder geschlossen war, der Laptop nun da oder nicht da? Erik hat Zweifel, die er mit seinem Kollegen Sören Kretzschmar teilt. Ihre Zweifel besprechen die beiden Polizeibeamten ausgerechnet während eines Fischbrötchens bei Gosch. Wenn Mamma Carlotta das wüsste.
Sören amüsiert sich, ahnt er doch nicht, dass Carlotta Capella näher ist, als er glaubt. Mamma Carlotta hat nämlich von Carolin erfahren, dass es bei Gosch mittlerweile eine italienische Servicekraft gibt, Friedo Ferrari. Gleichzeitig kommt ihr diese Gastronomie sehr gelegen, versucht jedoch die besorgte Antonia Schäfer bestens zu unterstützen. Da fehlt ihr einfach ab und an die Zeit zum Kochen. Als sie sich nach der Mahlzeit schließlich in Richtung Ausgang umsieht, entdeckt sie Sören und Eric, die gerade ihre Mahlzeit beendet haben.
Natürlich ist sie skeptisch, wird aber jäh in ihren Nachforschungen unterbrochen, als Sörens Tante ihrem Neffen mitteilt, dass seine Cousine Frauke verschwunden ist. Niemand weiß, wo die junge Frau geblieben ist, aber da sie schon öfter verschwunden ist, vermuten alle, sie hätte sich wieder einmal einen reichen Wohltäter an Land gezogen. Es wäre nicht das erste Mal. Die Ermittlungen gehen weiter und schon bald hat Sören das Verschwinden seiner Cousine fast schon vergessen.
Während der Festivalorganisation blüht Carolin auf, freundet sich sogar mit dem Lyriker Johann W. Kessler an. Mamma Carlotta nimmt dies erleichtert zur Kenntnis, hat sie doch selbst große Freude, der Verlegerin bei der Organisation zu helfen. Dass sie dabei noch nicht einmal mit Tove und Fiedje über die Entführung sprechen darf, macht ihr natürlich schon zu schaffen, aber immerhin hat sie mit der verschwundenen Frauke Kretzschmar ein gutes Gesprächsthema.
Als wenig später die Leiche einer Frau gefunden wird, ist Mamma Carlotta schon mittendrin in den Ermittlungen. Das drohende Unwetter schätzt sie dabei überhaupt nicht. Erstaunt nimmt sie auch einen Wandel von Tilla Speck und Eric wahr. Fand er die Staatsanwältin nicht immer irgendwie nervig? Ja, bislang hat es immer Stress gegeben. Doch irgendetwas schien sich zu verändern. Plötzlich ziehen alle Beteiligten an einem Strang, die Ermittlungen nehmen Fahrt auf und dann ist Erik verschwunden, Mamma Carlotta kann ihn nicht erreichen, wendet sich besorgt an Tilla, die gleichfalls besorgt ist.
Gemeinsam und unter Aufbringung aller Kräfte folgen sie den neuen Hinweisen und bald gibt es erste konkrete Verdächtige.
Atmosphärisch dicht
Wie bereits bei den vorangegangenen Krimis rund um Mamma Carlotta ist doch dieser Fall wieder atmosphärisch dicht. So merkt man ihm einerseits das Temperament Mamma Carlottas an, andererseits aber auch die Gelassenheit der Friesen. Dabei schafft Gisa Pauly auch einen hohen Wiedererkennungswert und das nicht nur, was die Insel Sylt angeht, sondern auch, was die einzelnen Figuren angeht. Der Aspekt mit der Sturmflut gefällt mir bei diesem Fall besonders gut, ist jedoch ein weiteres Spannungselement. Gleichzeitig lässt es die einzelnen ermittelnden Figuren und auch die Verdächtigen einerseits näher zusammenrücken, trennt sie aber auch gleichzeitig voneinander. Dieses Spiel mit den wechselseitigen Spannungen gefiel mir ausgezeichnet.
Sprachliches
Das Spiel mit den unterschiedlichen Dialekten, den Wortfetzen für jeden einzelnen Protagonisten und die unterschiedlichen Charakterzüge, die sich ebenfalls durch die Sprache manifestieren, sorgen dafür, dass auch dieser Krimi wieder äußerst lebendig wird. Hat man dennoch Gefühl, irgendwo auf der Stelle zu treten, gibt es bald den nächsten Schub nach vorne. Es gleicht fast der Ruhe vor dem Sturm. Ja, die Metapher des Sturms, wie auch der Sturm selbst sind stets allgegenwärtig, selbst dann, wenn er mal wieder abgeflaut ist. Auch der Spannungsbogen gleicht bei diesem 13. Fall rund um Mamma Carlotta einer Sturmflut. Mal ist er stark angestiegen, dann flaut er wieder ab, nur um kurze Zeit später wieder von Neuem anzusteigen.
Lyrik als besonderes Highlight
Beim sprachlichen Aspekt müsste man eigentlich den lyrischen Aspekt noch einmal besonders hervorheben, denn auch dieser ist Gisa Pauly eindeutig unterhaltsam gelungen. Und wenn wir von der Lyrik sprechen, so müssen wir auch über Johann W. Kessler sprechen, der eine Figur voller Gegensätze ist, fast so etwas wie ein Möchtegern-Lyriker, der bislang einfach nur verhindert war.
Liebenswerte Charaktere und ein scheinbar undurchschaubares Beziehungsgeflecht
Wie so oft erleben wir bei „Sturmflut“ wieder einmal äußerst liebenswerte Charaktere, die zum Teil sehr starke Bindungen miteinander eingehen. Zum Teil sind diese deutlich sichtbar, zum anderen entwickeln sie sich erst und ganz andere Beziehungen sind unsichtbar, sodass sie den Hörer dieser Geschichte zunächst dazu einladen, aufmerksam zu bleiben und sich zu fragen, wer mit wem wie zu tun hat.
Lales Vater zum Beispiel scheint sich ja keine Sorgen um seine verschwundene Tochter zu machen, doch warum ist das eigentlich so und ist er tatsächlich so sorglos, wie es den Eindruck hat?
Und dann sind da ja auch noch Erik und Tilla, deren Verhalten den übrigen Figuren zunächst einige Rätsel aufgibt. Hier jedoch ist der Hörer der Geschichte allgegenwärtiger als die einzelnen Figuren, denn er begleitet Tilla und Eric und weiß deshalb genau, was Erik bewegt. So verstrickt sich die Geschichte zu einem immer dichteren Netz, das auch den Leser oder Hörer der Geschichte irgendwo einwickelt. Ich persönlich liebe es, die Geschichten rund um Mamma Carlotta von Christiane Blum vorgetragen zu bekommen, freue mich jedes Mal darüber, wenn ich ihre Stimme wieder als Mamma Carlotta höre und staune doch darüber, dass sie jeder Figur eine eigene Stimme und ja auch so etwas wie ein eigenes Gesicht gibt.
Über die Autorin Gisa Pauly
„„Gisa Pauly hängte nach zwanzig Jahren den Lehrerberuf an den Nagel und veröffentlichte 1994 das Buch »Mir langt’s – eine Lehrerin steigt aus«. Seitdem lebt sie als freie Schriftstellerin, Journalistin und Drehbuchautorin in Münster, ihre Ferien verbringt sie am liebsten auf Sylt oder in Italien. Ihre turbulenten Sylt-Krimis um die temperamentvolle Mamma Carlotta erobern regelmäßig die SPIEGEL-Bestsellerliste, genauso wie ihre erfolgreichen Italien-Romane. Gisa Pauly wurde mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Satirepreis der Stadt Boppard und der Goldenen Kamera des SWR für das Drehbuch »Déjàvu«.“(Autorenbiografie)
Fazit zu „Sturmflut – Mamma Carlotta ermittelt – Ein Sylt-Krimi“
„Sturmflut“ ist anders als die vorangegangenen Fälle, ohne dass ich die Unterschiede direkt in Worte fassen könnte. Vielmehr scheint es so, als dass sich die Geschichte fülliger darstellt, es mehr Verwicklungen und noch tiefere Charaktere gibt. Dies ist einerseits eine Umstellung für all jene, die bereits die vorangegangenen Teile der Mamma-Carlotta-Reihe kennen, andererseits ist es auch eine Einladung dazu, genauer hinzusehen und die einzelnen Figuren zu hinterfragen. Mir persönlich gefiel „Sturmflut“ ausgesprochen gut.