„Offline – Du wolltest nicht erreichbar sein. Jetzt sitzt du in der Falle“ von Arno Strobel ist ein Psychothriller mit überraschendem Aktualitätsbezug, denn wer träumt nicht davon, einmal für ein paar Tage nicht erreichbar zu sein. Keine E-Mails, Anrufe oder RSS-Feeds entgegennehmen zu müssen. Ganz ähnlich geht es auch der Reisegruppe in „Offline“ von Arno Strobel. 11 Menschen brechen auf den Watzmann auf, um eine Woche Digital Detox zu erfahren. Nicht alle kehren zurück.
In „Offline – Du wolltest nicht erreichbar sein. Jetzt sitzt du in der Falle“ antizipiert Arno Strobel einen sogenannten „Verschlossenen-Raum-Kriminalfall“ wie wir ihn beispielsweise von Agatha Christie kennen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr alle „Mord im Orient-Express“ oder auch Fälle des Hercule Poirot kennt. Agatha Christie war bekannt dafür, ihre Figuren in den einen oder anderen Kriminalfall ohne Ausweg zu schicken. Ebenso hält es in „Offline“ auch Arno Strobel.
„Offline“ von Arno Strobel: Ein abgeschlossenes Gelände und ein Kinderlied
Bedenken wir als erstes die Möglichkeiten, die sich durch ein überschaubares Gelände und ohne die Möglichkeit zu entkommen, ergeben. Alleine durch diese Kombination von Ereignissen ergeben sich eine Reihe von potenziellen Gefahren. Gefahren, die auf den ersten Blick vielleicht unscheinbar wirken und doch zur tödlichen Falle werden können. Die Wahrscheinlichkeit, einem Psychopathen mit mörderischen Absichten zu begegnen, ist im echten Leben hoffentlich nicht so hoch, wie es einem die Autoren von Krimis und Thrillern weismachen möchten. Ganz ausgeschlossen ist es aber auch nicht. Der verschlossene Raum ohne Verbindung zur Außenwelt hat also ein vergleichsweise hohes Potential die Basis einer solchen Geschichte zu bieten.
Modernisierung alt hergebrachter Ideen
Handelt es sich also lediglich um eine Modernisierung der althergebrachten Ideen, wie sie schon bei Agatha Christie eine Rolle spielten? Nein, meiner Meinung nach basiert die Idee zwar auf einem althergebrachten Ursprung, ist aber doch irgendwie nicht abgekupfert. Die Tatsache, dass Arno Strobel hier mit einer Idee spielt, die so altmodisch ist, zeigt vielmehr, dass die Leitmotive des Krimis und Thrillers nicht aus der Mode kommen.
Arno Strobel hat die Idee der Geschichte dabei nicht nur modernisiert, sondern eher um die technischen Neuerungen erweitert. Die Tatsache, dass keiner der Teilnehmer dieses Experiments zum Handy griff, erklärt er damit, dass ein digitales Detox stattfinden soll. Sämtliche Handys wurden im Voraus durch die Veranstalter eingesammelt, sodass nun alle Teilnehmer auf ihre Handys verzichten müssen. Selbst die Veranstalter, die dieses Event geplant haben, haben ihre Handys nicht mitgenommen, sie liegen vielmehr gut verwahrt an einem anderen Ort. Somit gibt es kein Entkommen.
Eine begrenzte Anzahl an Verdächtigen
Doch die Parallelen zum verschlossenen Raum-Kriminalfall sind nicht die einzige Überraschung, denn tatsächlich weckt Arno Strobel mit seinem Psychothriller auch Erinnerungen an das Kinderlied „10 kleine Fische. In meinem Instagram-Beitrag zum Hörbuch habe ich ja bereits erwähnt, dass mir die echte Dimension des Thriller erst bewusst wurde, als einer nach dem anderen verschwand und die Reisegruppe anfing, sich gegenseitig zu verdächtigen. Spannend, denn die Verschwundenen werden natürlich gefunden. Sie sind schwer verletzt und Gefangene ihres eigenen Körpers. Denn nach den erlittenen Verletzungen sind die Opfer gleichermaßen blind, gehörlos und stumm, sowie gelähmt.
Vom Wert eines Lebens
Allein das perfide Vorgehen des Täters sowie die Tatsache, dass die Opfer trotz aller Einschränkungen lebensfähig scheinen, wirft mir als Leserin natürlich Fragen auf. Denn ist ein Leben, abgetrennt von der Umgebung, der Außenwelt, abgeschnitten aber auch von Emotionen, Gefühlen und Reaktionsvermögen wirklich lebenswert?
Die beschriebenen Vorgänge würden in der Realität eindeutig unter den Begriff der Folter fallen. Sie sind menschenunwürdig und hinterlassen wehrlose, wie sozial isolierte Wesen, die man wohl kaum mehr als selbstbestimmt bezeichnen kann.
Die unterschiedliche Art der Rezeption
Auch das Hörbuch wirft weitere Fragen auf, denn die unterschiedliche Art der Rezeption dieser Geschichte ist in beiden Versionen unterschiedlich. Die Schwerpunkte, die gesetzt werden, sind andere. Und natürlich möchte man mit den Opfern mitfühlen, den Täter zur Rechenschaft ziehen und hofft, dass die Ereignisse am Ende doch nichts anderes sind als die Episode eines Alptraums. Doch so ist es nicht.
Dieser Psychothriller ist nichts für schwache Nerven, nichts für Menschen, die mit psychischer Grausamkeit nicht umgehen können. Obwohl dieses Buch weitestgehend unblutig ist, ist es doch eine Belastung aufgrund seiner psychischen Brutalität. Ich persönlich möchte mir nicht vorstellen, wie es wohl ist, anstelle der Opfer zu sein, frage mich lange, welches gruselige Motiv hinter den Taten steht. Und zweifle am Ende nicht etwa an der Logik der Geschichte, sondern daran, welche trügerischen Sicherheiten und unerwartete Ereignisse dazu führen können, ein ganzes Leben nachhaltig zu verändern.
Als Hörbuch ist die Geschichte selbst noch einmal ein intensiveres Erlebnis. Aus dem Grund kann ich Euch auch nur sagen, dass es durchaus Sinn macht, sowohl das Buch zu lesen als auch das Hörbuch zu hören. Mir persönlich fiel nämlich auf, dass sich die Geschichte selbst zwar nicht verändert, die Wahrnehmung der Geschichte hingegen durch die Rezeptionsart variiert.
Die Frage, welche Rezeptionsart ich nun besser fand, kann ich abschließend nicht beantworten, denn obwohl ich das Buch sehr gerne gelesen habe und das Hörbuch gelungen fand, fällt es mir schwer, beide Werke zu vergleichen. Aus diesem Grund würde ich sie gerne losgelöst voneinander betrachten.
Hat das Buch einen entsprechenden Sog, ist das Hörbuch eher abstoßend, aufrüttelnd und alarmierend. Wo das Buch einem Zeit lässt, über die Geschehnisse nachzudenken, eilt das Hörbuch schon zum nächsten Ereignis. Abstoßend mag an dieser Stelle negativ klingen, ist aber keinesfalls als Qualitätsmerkmal zu verstehen.
Vielmehr ist es so, dass die hohe emotionale Dichte beim Hörbuch noch konzentrierter ist. Die Verdichtung des Inhalts rührt dabei aber keinesfalls von einer Kürzung, sondern viel eher von einer sprachlichen Dehnung. Ich selbst habe das Buch schneller gelesen. Das Hörbuch erschien mir hingegen vergleichsweise lang und zwang mich zwischendurch dazu, Pausen einzulegen, obwohl ich die Geschichte selbst bereits kannte.
Ich kann mir nicht erklären, worin sich dieser Umstand begründet. Herbert Schäfer hat die Geschichte als Sprecher gut gelesen, dennoch bin ich mir nicht sicher, ob seine bewusst emotionsreduzierte Lesart nicht gerade besonders viele Emotionen auf mich als Zuhörer einwirkten. Die Geschichte selbst erscheint auf diese Weise nämlich vergleichsweise distanziert und frei von jeglicher Bewertung. Somit zwingt mich diese Form der Rezeption zu einer besonderen Leistung, der Bewertung. Nehme ich diese Bewertung beim Lesen des Buches bewusst zeitgleich vor, erfolgt diese Bewertung bei diesem Hörbuch immer ein wenig zeitversetzt.
Hätte ein anderer Sprecher die Geschichte anders erzählt?
Mit Sicherheit hätte ein anderer Sprecher andere Betonungen gewählt und mir somit eine ganz andere Geschichte erzählt. Denn die Art, wie es gelesen wird, beeinflusst natürlich meine Art, die Geschichte zu interpretieren und macht somit beide Rezeptionsarten zu einem Unikat.
Doch wer wäre eine Alternative zu Herbert Schäfer? Möglicherweise hätten eine ganze Reihe anderer Sprecher die Geschichte noch lebendiger und somit emotionaler betont. Doch ist es das, was ich bei einer psychologisch basierten Geschichte und der entsprechenden Motivlage erwarte? Meiner Meinung nach hat Herbert Schäfer seinen Job als Sprecher dieses Hörbuchs mehr als erfüllt. Und doch überlegte ich, wie die Geschichte wohl mit der Stimme einer Mechthild Großmann, einem Dietmar Wunder, einem Simon Jäger oder einer Julia Fischer geklungen hätte. Sie alle lesen regelmäßig Psychothriller ein und leihen fiktiven Tätern wie Opfern ihre Stimme.
Über Arno Strobel
„Arno Strobel liebt Grenzerfahrungen und teilt sie gern mit seinen Lesern. Deshalb sind seine Thriller wie spannende Entdeckungsreisen zu den dunklen Winkeln der menschlichen Seele und machen auch vor den größten Urängsten nicht Halt.
Seine Themen spürt er dabei meist im Alltag auf und erst, wenn ihn eine Idee nicht mehr loslässt und er den Hintergründen sofort mit Hilfe seines Netzwerks aus Experten auf den Grund gehen will, weiß er, dass der Grundstein für seinen nächsten Roman gelegt ist. Alle seine bisherigen Thriller waren Bestseller.
Arno Strobel lebt als freier Autor in der Nähe von Trier.“ (Fischer Verlage)
Über Herbert Schäfer
Herbert Schäfer, vielseitiger Theaterschauspieler (u.a. Münchener Kammerspiele) und Hörspielsprecher, ist in TV-Serien wie „Die Wache“, „SK Kölsch“ und „Doppelter Einsatz“ zu bewundern.(Steinbach sprechende Bücher)
Fazit zu „Offline“ von Arno Strobel
Dieses Buch ist meiner Ansicht nach ein echter Psychothriller ist und nicht etwa ein Erfahrungsbericht. Als solches sollte er auch gelesen oder gehört werden. Allerdings ist dieser Psychothriller nichts für schwache Nerven.
Stellt sich die Frage, ob ihr nun alle zu „Offline“ von Arno Strobel greifen solltet. Meiner Meinung nach ist dieses Hörbuch ebenso wie das Buch auch keinesfalls für jedermann geeignet. Vielmehr setzt es das Interesse an menschlichen Abgründen voraus, denn diese stehen im Mittelpunkt. An dieser Stelle möchte ich nun wirklich nicht mehr allzu viel sagen, außer vielleicht, dass man offline nur auf die virtuelle Welt beziehen kann. Aber was das genau bedeutet, wird Euch erst bewusst, wenn ihr Euch näher mit der Geschichte beschäftigt.
Dieses Buch wird sicher auch ein technisches Verständnis oder zumindest ein Interesse an moderner Technik. Es setzt nicht voraus, dass ihr nun alle gleich ein technisches Studium braucht. Es setzt jedoch voraus, dass sie Euch einmal mit den Hintergründen des Internets befasst. Welche Auswirkungen hat die regelmäßige Nutzung des Internets auf die menschliche Psyche?