„Sieben Minuten nach Mitternacht“ aus dem cbt Verlag
Als Bloggerin wurde ich vor einigen Wochen zur Vorpremiere des Fantasyfilms „Sieben Minuten nach Mitternacht“ (Regie: Juan Antonio Bayona) in den Zoopalast Berlin eingeladen. Schnell fand ich heraus, dass der Film auf dem gleichnamigen Jugendbuch von Patrick Ness (Veröffentlichung 2011) basiert, das ich bis dahin noch nicht kannte.
Jugendbuch? War das das richtige für mich? Immerhin bin ich schon über 30? Weil das Kino im Zoopalast aber wirklich ein Erlebnis ist und ich dank Kleinkind schon lange nicht mehr im Kino war, nahm ich die Einladung trotzdem an. Kurz nach meinem Kinobesuch bestellte ich das Buch – denn der Film hat mich wirklich berührt.
A Monster Calls – Sieben Minuten nach Mitternacht
Der englische Originaltitel des Films lautet „A Monster Calls. In der Hauptrolle spielt der schottische Kinderschauspieler Lewis MacDougall als Conor O’Malley. Sigourney Weaver, bekannt aus „Alien“, spielt die strenge, aber liebende Großmutter Conor’s. Damit aber genug zum Hintergrund. Warum hat mich dieser Jugendfilm so begeistert, dass ich mich dazu entschieden habe, darüber zu schreiben?
„Sieben Minuten nach Mitternacht“ beschäftigt sich mit einem Thema, mit dem jeder von uns über kurz oder lang konfrontiert sein wird: Der Verlust eines geliebten Menschen. In diesem Fall wird der Weg, mit diesem drohenden Verlust umzugehen, aus der Sicht eines dreizehnjährigen Kindes geschildert. Das heißt allerdings nicht, dass sich der Film nur für Jugendliche eignet. Ich konnte von Anfang an die Bedrohung und die Angst, der sich Connor ausgesetzt fühlt, nachvollziehen. Der Film geht vom ersten Moment an unter die Haut. Ich werde als Zuschauer gezwungen, mich ohne viel Schnickschnack und Ablenkung mit einer existentiellen, menschlichen Angst auseinander zu setzen.
Obwohl äußerlich nicht viel passiert, wird der Zuschauer Zeuge des inneren Prozesses, der vom „Monster“ aus der Eibe auf dem Hügel hinter Conor’s Haus geleitet und unterstützt wird. Bis zum Ende stellt man sich die Frage, ob es dieses Monster wirklich gibt und ob es ihm gelingen wird, ein Wunder geschehen zu lassen. Man hofft, zusammen mit dem Protagonisten, mit aller Kraft auf dieses Wunder, das ja in Anbetracht der Existenz eines Monsters zumindest möglich wäre. Gleichzeitig ist man rational in der Lage zu verstehen, dass es aus dieser Situation kein Zurück geben wird. Und genau wie Conor unterliegt der Zuschauer möglicherweise lange einem Irrtum, worum es in der Geschichte und der Auseinandersetzung mit dem Monster wirklich geht.
Sieben Minuten nach Mitternacht – die Handlung
Die Handlung des Filmes, wie auch des Buches, folgt dem Leben des dreizehnjährigen Conor. Dieser lebt mit seiner an Krebs erkrankten und bereits meist bettlägerigen Mutter zusammen. Conor lebt selbständig und entlastet seine Mutter nach Kräften, weil diese ihren Alltag nicht mehr ausreichend bewältigen kann. Conors Vater lebt bereits leicht entfremdet mit seiner neuen Familie in den USA. Die von Conor ungeliebte und etwas unnahbar anmutende Großmutter hilft im Haushalt und eröffnet Conor im ersten Drittel, dass dieser zu ihr ziehen müsse, weil die Mutter sich nicht mehr um ihn kümmern kann.
In der Schule wird Conor von einer Gruppe aus drei Jungs gemobbt und teilweise körperlich attackiert. Die restlichen Schüler meiden Conor, seit die Krankheit seiner Mutter bekannt wurde. Lediglich Lily, eine ehemalige Freundin, ist bereit, mit Conor zu sprechen. Conor ist jedoch wütend auf sie, weil sie die Krankheit seiner Mutter an andere Schüler weitererzählt hat und will nichts mit ihr zu tun haben.
Conor verfolgt ein immer gleicher Albtraum, dessen genauer Inhalt bzw. Ende zunächst unklar bleibt. Schauplatz ist der Friedhof auf dem Hügel hinter Conor’s Haus, auf dem auch eine uralte Eibe steht. Während der Boden unter dem Friedhof sich aufzulösen beginnt und alles in die Tiefe stürzt, versucht Conor, seine Mutter zu retten. Am Ende baumelt sie bereits in die Tiefe, während er sie noch an einer Hand festhält.
Eines Abends sucht ihn ein riesiges Monster in Gestalt einer Eibe vom Hügel heim. Dieses erscheint, wie im späteren Verlauf fast immer, um sieben Minuten nach Mitternacht. Am nächsten Tag ist alles, was das Monster am Haus zerstört hat, wieder wie immer. Zunächst glaubt Conor deshalb an einen Traum, findet jedoch im weiteren Verlauf der Geschichte Eibennadeln, Früchte einer Eibe und schließlich eine junge Eibe, die aus seinen Fußbodendielen wächst. Das Monster ist trotz seines Namens und seiner enormen Größe weder für Conor noch für den Leser furchteinflößend.
Es eröffnet Conor, ihm drei Geschichten erzählen zu wollen. Danach müsse Conor die vierte Geschichte erzählen und er müsse die Wahrheit sagen. Zunächst ist Conor verärgert, hatte er vom Monster doch mehr Hilfe als „nur“ Geschichten erwartet. Trotzdem hört er, gezwungenermaßen, schließlich zu. Die erste Geschichte handelt von einem Prinzen, der später ein guter und weiser König werden soll, für seinen Thron aber eine unschuldige Bauernfrau ermordet. Gleichzeitig wird die böse und machthungrige Königin für genau diesen Mord zu Verantwortung gezogen, obwohl sie in diesem Fall unschuldig ist. Das Monster rettete die Königin.
Im restlichen Verlauf der Handlung erzählt das Monster zwei weitere Geschichten und wie angekündigt erzählt Conor schließlich eine vierte Geschichte – die Wahrheit.
Sprache und Interpretationsansätze
Die Geschichte ist aus der Sicht eines dreizehnjährigen Jungen erzählt. Die Sprache ist dementsprechend einfach: es werden häufig Parataxen verwendet, Fragestellungen auch in der Überschrift („wäre es möglich..?“), Umgangssprache („Treib´s nicht zu weit“), sowie viele wörtliche Reden.
Sprachlich finden sich viele negativ konnotierte, emotionale Begriffe („Angst“, „Finsternis“, „Albtraum“, „gequält“, „Gewissen“) , die vor allem die Sorge Conors um seine Mutter ausdrücken, aber auch seine Schuldgefühle. Genauso finster und bedrückend sind auch die Illustrationen im Buch und die Farbgebung und Kameraführung im Film.
„Wahrheit“ kristallisiert sich heraus als zentraler Begriff. Laut Aussage des Monsters ist „die Wahrheit sagen“, das einzige verlässlich richtige in einer sonst moralisch uneindeutigen Welt. Denn die erste Geschichte soll verdeutlichen, dass die Trennung zwischen gut und böse meist schwierig bis manchmal unmöglich ist. In diesem Fall verdiente die ansonsten böse Königin jedenfalls Rettung, weil sie in Wahrheit für den Mord nicht verantwortlich war. Wie in allen unklaren Situationen bleibt einem laut dem Monster nur, die Wahrheit zu sagen.
Aber so simpel das Rezept des Monsters scheinen mag, die Wahrheit zu sagen ist nicht einfach. Conor gelingt es erst, als er buchstäblich auf der Kippe steht und in seinem Albtraum von einem dunklen Sog verschlungen zu werden droht.
Die Eibe, aus der das Monster entsteht, dient als Symbol für die Heilung Conors. Dieser muss den nahenden Tod der Mutter akzeptieren und damit zurecht kommen. Das Monster hilft Conor, ins Leben zurückzufinden und nicht mit der Mutter in den Abgrund zu stürzen. Was er dazu verstehen und aussprechen muss, welche Wahrheit er sagen muss, ist eine Wahrheit, die nicht nur für diesen dreizehnjährigen Jungen in dieser hoffnungslosen Situation gilt, sondern für jeden Leser / Zuschauer.
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