Als ich anfing „Riskante Manöver – ein Fall für PR-Agent Mats Holm“ von Birand Bingül zu lesen, wusste ich bereits, dass es sich um einen Wirtschaftskrimi handeln würde und das dieser Krimi verhältnismäßig tiefe Einblicke in die Welt der Pharmaindustrie geben würde. Genau das war auch einer von mehreren Gründen, warum ich dieses Buch unbedingt lesen wollte, denn wer sich einmal die Mühe macht, genauer hin zu schauen, wird schnell feststellen, dass es wenig Bücher gibt, die einen hinter die Kulissen blicken lassen.
„Riskante Manöver“ ist genau so ein Buch, denn dem Autor ist es gelungen, die wirtschaftlichen Komponenten seines Krimis so spannend zu verpacken, dass man nach einer kurzen Zeit der Eingewöhnung nur noch eines möchte: ganz schnell wissen, wie es weitergeht.
Der Ermittler: ein PR-Agent mit Schwerpunkt Krisenmanagement
Zunächst war ich verwundert, als ich las, dass es sich bei dem Ermittler in „Riskante Manöver – ein Fall für PR-Agent Mats Holm“ von Birand Bingül um einen PR-Agenten handeln sollte und dann noch mit dem Schwerpunkt Krisenmanagement. Ja, ich weiß, dass viele von euch an so etwas wie einen Shitstorm denken. Doch wäre es bei diesem Krimi nur um einen solchen Fall gegangen, so hätte er nicht diese explosive Mischung aus Spannung, Information und Unterhaltung besessen.
Stattdessen geht es in diesem Krimi um ein Medikament, das bei Markteinführung gehypt wurde und von Forschern und Kinderärzte in den Himmel gelobt wird. Doch dann kommt es plötzlich zu merkwürdigen Nebenwirkungen, einer Reihe von Kindern erkrankt. Da dieses Präparat speziell für Kinder entwickelt worden sein soll, wäre dies der Untergang für das Medikament.
Kurzerhand holt Wenner Pharma (ein fiktives Pharma-Unternehmen) mit Mats Holm einen Krisen erprobten PR-Agenten ins Unternehmen. Holm und sein Team sind dabei vor allem einer Sache verpflichtet: der Wahrheit. Der erfahrene PR-Agent ist sich sicher, dass nichts eine Krise so schnell abwendet, wie Empathie, die Wahrheit und absolute Offenheit. All das setzt er auch dieses Mal voraus und wird bitter enttäuscht…
Drei Teams, multilateral gegeneinander gestellt
Auffällig ist bei diesem Krimi auf jeden Fall, dass man hier kein klassisches Krimierlebnis erhält. Zwar ist der Verlauf spannend, jedoch weitestgehend unblutig. Vielmehr ist es so, dass man bei diesem Krimi in vielerlei Hinsicht umdenken muss. Statt es mit der klassischen Täter-Opfer-Konstellation zu tun zu bekommen, haben haben wir als Leser es mit drei unterschiedlichen Teams zu tun, die alle in irgendeiner Beziehung zueinander stehen und sich gegenseitig beeinflussen und bedingen. Klingt komisch? Ja, möglicherweise ist es das, aber bevor jetzt hier irgendwer sagt, ich hätte ihn vorgewarnt, so möchte ich es kurz ausführen. Drei Teams und drei unterschiedliche Seiten eines Dreiecks.
Zum einen haben wir Mats Holm, seine Partnerin Laura May, Storch und Werner (Team eins), zum anderen haben wir den Großkonzern Wenner Pharma (inklusive aller Mitarbeiter) als Team zwei. Das dritte Team setzt sich zusammen aus Medien und Opfern. Doch warum fasse ich das dritte Team in einem Team zusammen.
Nun, wenn wir betrachten, wie Mats und sein Team immer tiefer in die Materie einsteigen und gleichzeitig mit großer Empathie auf die Opfer, ihre Angehörigen und die Medien einwirken, so wird deutlich, dass es hierbei letztendlich nur eine Wechselwirkung gibt. Schenken die Opfer und ihre Angehörigen Wenner Pharma Glauben, berichten die Medien positiv, sind sie unglaubwürdig, dreht sich das Blatt um 180° ins Negative.
Somit können und müssen wir bei der späteren Betrachtung dieses Krimis von einer doppelten bilateralen Position ausgehen. In dem Moment nämlich, wo Holms PR-Team immer mehr damit beginnt, hinter die Fassade zu blicken und einiges infrage zu stellen.
Bei diesem Krimi ist nichts so, wie es zunächst den Anschein hat. Genau aus diesem Grund ist dieser Krimi aber auch lesenswert und genau das macht ihn trotz eines unblutigen Charakters psychologisch anstrengend. Denn welcher Leser, egal ob Elternteil oder nicht, möchte schon erfahren, welche Macht Pharma-Unternehmen aufbauen können, wenn es um die Freigabe von Medikamenten geht?
Macht die Betrachtung des Hintergrunds in einem Pharma-Unternehmen diesen Krimi lesenswert? Ja, denn wer sich diesen Krimi vornimmt, der versteht die gegenseitigen Abhängigkeiten und Wechselwirkungen innerhalb der Wirtschaft.
Einblicke in die PR-Arbeit und ins Krisenmanagement
Bereits im ersten Kapitel stolperte ich als Leserin dieses Buches an den Frühstückstisch einer mir unbekannten Familie. Hier lernte ich Sophie kennen, der es an diesem Morgen gar nicht gut zu gehen schien. Als Leserin erfuhr ich die Geschichte, dass Sophie in den letzten Tagen häufiger bei ihrem Kinderarzt vorgestellt wurde, der jedoch was ihren Gesundheitszustand anging vor einem Rätsel stand.
Nahezu täglich verschlechtert sich ihr Zustand und nun klappte sie einfach am Frühstückstisch zusammen. Ihre Eltern konnten nur hilflos mit ansehen, wie ihre Tochter schließlich ins Krankenhaus kam, ins Koma fiel und starb.
Ein merkwürdiger Auftakt für einen Krimi? Ja, auf jeden Fall. Denn in einer natürlichen Todesursache gibt es normalerweise keine Ermittler.
Anders hier, denn die kleine Sophie weist ähnliche Symptome auf, wie andere Kinder, die ein spezielles Präparat bekommen hatten. Schnell steht der Hersteller unter Verdacht, etwas mit dem rätselhaften Tod des Kindes zu tun zu haben.
Alleine die Gerüchte reichen schon aus, um die Firma in ein schlechtes Licht zu rücken und tatsächlich gibt es für niemanden etwas Schlimmeres, als den Verlust des eigenen Kindes, würde man meinen. Das weiß natürlich auch Mats Holm, der selbst eine Tochter hat, die mittlerweile erwachsen ist.
Er versucht, die Krise bei Wenner abzuwenden, doch jedes Mal, wenn er ein Problem gelöst hat, tauchen gefühlt fünf neue auf. Sein Mittel der Wahl ist dabei die Wahrheit ebenso wie Empathie mit den Opfern und den Angehörigen. Doch irgendetwas liegt im Argen, sodass sich die Krise immer weiter zuspitzt.
Birand Bingül selbst hat bereits viele Jahre als Journalist gearbeitet und auch in der PR Erfahrung gesammelt. Genau diese Erfahrung merkt man dem Buch auch an, denn er weiß, wie schnell eine Krise in den Medien hochgekocht wird, welche Macht die Medien haben, ein Thema entweder wohlwollend oder kritisch zu betrachten.
Ja, auch die Medien spielen in diesem Krimi eine Rolle und keine allzu kleine möchte ich meinen. Somit werfen wir als Leser einerseits einen Blick ins Krisenmanagement, andererseits aber auch in die PR-Branche, in der nichts so wichtig zu sein scheint, wie ein guter Ruf.
Sachlich, nüchtern und doch empathisch
Interessant ist dabei auch die Feststellung, dass der Autor dieses Buches selbst einen Schreibstil anwendet, der irgendwie eine Mischung aus journalistisch und PR darstellt. Birand Bingül betrachtet seine Figuren, die ebenso fiktiv sind, wie der Fall selbst, mit großem Feingefühl.
Er ist ihnen gegenüber überaus empathisch und doch bleibt sein Schreibstil in gewisser Weise außen vor. Nüchtern, ja fast sachlich stellt er dar, wie Sophie, die sechsjährige Patientin, zunächst ins Koma fällt und schließlich tragisch verstirbt.
Sind Tragik und Sachlichkeit nun ein Widerspruch? Viele würden es so interpretieren, doch in diesem Fall habe ich den Eindruck, dass die Tragödie durch die sachliche Darstellung noch ein wenig empathischer wird.
„Riskante Manöver – ein Fall für PR-Agent Mats Holm“ von Birand Bingül: Vom Wert eines Menschenleben
Insgesamt macht dieser Krimi durchaus nachdenklich und stellt indirekt immer wieder die Frage, wie viel ein Menschenleben eigentlich wert ist und auch, ob ein Menschenleben überhaupt mit Geld oder etwas Vergleichbarem (materiellem) aufgewogen werden kann. Auf den ersten Blick würde jetzt vermutlich jeder, der das hier liest, sagen, dass ein Menschenleben unbezahlbar ist.
Doch in Wirtschaftsfragen heißt das ganze Risikobewertung. Welches Risiko ist höher zu bewerten? Somit stellte sich die Frage, ob durch die Fälschung einer Studie tatsächlich jemand zu Schaden kommt oder eben nicht.
Mit solchen Fragen beschäftigen sich normalerweise hauptsächlich Versicherungen. In direkter Weise jedoch müssen sich auch Unternehmen wie dieses im Krimi vorgestellte Pharma-Unternehmen dieser Frage hin und wieder widmen.
Stehen heutzutage eigentlich alle Nebenwirkungen auf dem Beipackzettel und kann der Patient beurteilen, ob die Wirkung eines Medikaments relevanter ist als eine Nebenwirkung? Immer mal wieder, wenn es zu einem Skandal kommt, widmen wir uns doch genau dieser Frage.
„Riskante Manöver – ein Fall für PR-Agent Mats Holm“ von Birand Bingül lässt uns dabei ein wenig über den eigenen Tellerrand hinaus blicken und ist trotz seines untypischen Charakters informativ, interessant, aber auch spannend.
Über den Autor Birand Bingül
„Birand Bingül, Jahrgang 1974, ist Autor und Redakteur beim WDR in Köln. Er arbeitete dort u.a. als stellvertretender Unternehmenssprecher, Tagesschau-Korrespondent, Tagesthemen-Kommentator und Radiomoderator. »Riskante Manöver« ist Birand Bingüls erster Kriminalroman.“ ( Quelle: btb Verlag)
Dennoch ist „Riskante Manöver – ein Fall für PR-Agent Mats Holm“ nicht Birand Bingüls erster Roman, wohl aber sein erster Krimi. Als Romanautor kennen wir ihn bereits aus „Der Hodscha und die Piepenkötter“.
Hierbei handelte es sich um einen Roman, der später auch verfilmt wurde, in dem sich Bingül mit dem Thema der Migration in Deutschland beschäftigt. Darüber hinaus sind Sachbücher und weitere Romane von ihm erhältlich.
Tiefe Einblicke in die Welt der Wirtschaft
Man merkt diesem Buch an, dass der Autor an dieser Stelle genau weiß, wie er an die benötigten Informationen herankommt. Möglicherweise hat ihm hierbei sogar sein journalistischer Hintergrund geholfen. An dieser Stelle kann ich nur spekulieren, Fakt ist jedoch, dass man diesem Buch eine gewisse Tiefe und Detailgenauigkeit anmerkt.
Eine Widersprüchlichkeit in den Aussagen ergibt sich möglicherweise dennoch auf Seiten des Pharmakonzerns, denn einerseits heißt es hier „wissen von nichts“ und andererseits „wissen alles“. Für mich sind diese beiden Faktoren keinerlei Widerspruch des Krimis, denn natürlich müssen Unternehmen nach außen hin so tun, als wären sie gänzlich unbeteiligt.
Obwohl fiktiv ist „Riskante Manöver – ein Fall für PR-Agent Mats Holm“ von Birand Bingül derart glaubwürdig, dass ich sie durchaus für real halten könnte, doch ich habe weder Informationen zu dem Medikament, um das es hier geht, noch zum Pharma-Unternehmen Wenner gefunden. Vergleichbare Fälle jedoch gibt es durchaus.
Fazit zu „Riskante Manöver – ein Fall für PR-Agent Mats Holm“ von Birand Bingül
Ich selbst habe “Riskante Manöver – Ein Fall für PR-Agent Mats Holm“ sehr gerne gelesen und konnte das Buch, nach dem ich den Einstieg in eine mir unbekannte Welt erst einmal geschafft hatte, nicht mehr aus der Hand legen.
Wer jetzt glaubt, dass diese Welt aus der Welt der Fantasie bestand, der irrt, denn genau genommen ist das gesamte Szenario derart realistisch, dass man den hier beschriebenen Fall für absolut authentisch, also eine echte Geschichte, halten könnte. Gott sei Dank ist er fiktiv. Teil 2 liegt schon bereit.