„Die Schokoladenvilla“ von Maria Nikolai ist für mich eines der Hörbücher, bei denen ich sofort wusste, diese Geschichte muss ich hören. Wobei sie zu Beginn eigentlich ein wenig zögerlich anlief. Als Zuhörerin dieses Auftakts einer Trilogie lernte ich Judith Rothmann und ihre Familie kennen und schloss sie auch schnell ins Herz, denn die Geschichte entwickelte gewissermaßen eine Sogwirkung. Es ging um Schokolade, eine Familie, die für diese Schokolade bekannt war und um eine Ehe, die keiner so recht wollte. Somit hatte diese Geschichte alles um mein Interesse zu wecken.
Eine Familie Anfang des 20. Jahrhunderts
Die Fabrikantenfamilie Rothmann ist in Stuttgart für ihre Schokolade stadtbekannt. Eigentlich könnte alles so schön sein, doch Judiths Vater hat es nicht leicht, seine Tochter ist kürzlich 21 Jahre alt geworden und ein Ehemann immer noch nicht in Sicht, dafür muss er sich um seinen beiden jüngeren Söhne Anton und Karl ganz ohne seine Frau kümmern, denn die zog es vor, aufgrund ihrer Depressionen in ein Sanatorium nach Riva zu gehen.
Trotz der vielschichtigen Probleme, die das Familie mitbringt, versuchen sie das beste aus der Situation zu machen, alles scheint auch gut zu funktionieren, doch der äußere Schein trügt. Als sich Karl das Bein bricht und Victor Rheinberg in das Leben der Familie tritt, beginnen die Ereignisse nicht zu überschlagen und auch Judith Vater hat noch eine Überraschung für sie parat. Judith soll heiraten, ausgerechnet Albrecht von Braun…
Ein Wohlfühlroman vor der Kulisse Stuttgart des 20. Jahrhunderts
Die Geschichte selbst spielt in Stuttgart um die Jahrhundertwende herum. Nein, nicht etwa der Wechsel zwischen 1999 und 2000, sondern eher so um 1900 herum. Konkret beginnt die Geschichte im Jahr 1903, was natürlich einerseits bedeutet, dass der Industrialisierungsgrad noch nicht so hoch ist, wie heute, andererseits aber auch, denn ganz andere gesellschaftliche Herausforderung gab, als wir es vermuten. Zu Beginn des frühen 20. Jahrhunderts hatten die Frauen noch lange nicht die gleichen Rechte wie die Männer. Zumeist hatten sie einen männlichen Vormund, meist der Vater oder der Ehemann der Frau.
Nur mit wenigen Ausnahmen gingen die Frauen einer Berufstätigkeit nach. Judith Rothmann ist so eine ungewöhnliche Frau, sie betreut nicht nur ihre beiden jüngeren Zwillingsbrüder Anton und Karl, sondern versucht sich auch in der Fabrik mit immer neuen Ideen einzubringen. Mit ihrer ungewohnten Eigenständigkeit macht sie ihrem Vater jedoch einige Sorgen, will sie doch nicht einfach irgend einen Mann heiraten, nur weil ihr Vater dieses begrüßen würde. Insgesamt sind einige gesellschaftliche Aspekte für die heutige Zeit ein wenig ungewöhnlich, aber dank der starken atmosphärischen Inszenierung von Maria Nikolai absolut glaubwürdig und authentisch.
Dieser Aspekt von Glaubwürdigkeit und Authentizität macht es mir als Zuhörer sehr leicht, einen Zugang zu Geschichten zu finden. Schnell habe ich mich mit der weiblichen Hauptfigur identifizieren können und durfte feststellen, dass auch mir einige Ideen ihres überaus patriarchischen Vaters sehr missfielen, obwohl er mir nicht unsympathisch war.
Die Schokoladenvilla erzählt Frauengeschichte
Genau genommen könnte man sagen, dass Judith das Beispiel der modernen Frau beschreibt, ihre Geschichte, wie auch ihre selbst Bestimmtheit spielen dabei in großen Teilen wieder, wie Frauen in der damaligen Zeit für ihre Rechte kämpfen mussten.
Dabei geht es nicht um solche Aspekte wie Wahlrecht, sondern um Rechte, wie über das eigene Leben selbstbestimmt entscheiden zu können, entscheiden zu können, wen man heiraten möchte (und wen nicht), sich selbst für einen Beruf entscheiden zu können und über seine Ausübung eigenständig und ohne Erlaubnis anderer entscheiden zu dürfen. All dies vereint „Die Schokoladenvilla“ von Maria Nikolai in sich.
Der Auftakt einer Trilogie
Bei Trilogie besteht für mich immer ein gewisser Reiz, denn zum einen handelt es sich hierbei eine Serie, die eine Geschichte über mehrere Bände erzählt, zum anderen weiß man aber, dass diese Geschichte nach insgesamt drei Bänden zu Ende ist. „Die Schokoladenvilla“ ist der Auftakt einer solchen Trilogie und zeigt den Aufstieg einer Frau in die Selbstständigkeit.
„Die Schokoladen-Saga“ wird dabei durch mehrere Jahrzehnte streifen und uns immer wieder in die verschiedenen Leben und Situationen der Familie Rothmann hinein blicken lassen. Schokolade spielt dabei natürlich immer eine Rolle, aber auch sowas wie Kultur, Kunst und andere Aspekte haben sicherlich ihren Platz innerhalb der Geschichte.
Stilistisches
Maria Nikolai hat es geschafft, mit ihrem Roman eine atmosphärisch dichte Geschichte zu erzählen. Diese Atmosphäre kam einerseits über die vielen unterschiedlichen Charaktere, die jeweils ihre eigene Geschichte, aber auch ihre ganz eigenen Probleme Hindernisse mitbrachten.
Jede einzelne Figur war somit ein waschechter Charakterkopf. Bei jeder dieser Charakterköpfe auch seine ganz eigene Mentalität und seinen eigenen Ausdruck mitbrachte, war man als Zuhörer schnell in der Geschichte gefangen. Gleichzeitig jedoch war die Sogwirkung zu Beginn weniger in der Spannung begründet, als vielmehr in der Tatsache, dass die Schokoladengeschichte hier auf eine Familiengeschichte trifft.
Ich muss Euch an dieser Stelle wohl nicht sagen, dass der Aspekt der Schokolade erst auf die Schokoladenvilla aufmerksam machte. Entdeckt hatte ich sie mehr oder weniger durch Zufall, musste sie mir da gleich zulegen und auch gleich die Fortsetzung. Selten hat mich ein historisches Buch, das nahezu ohne Einfluss der Weltkriege auskommt, so schnell in seinen Bann gezogen.
Der Ausdruck, den Maria Nikolai nutzt, um ihre Geschichte zu erzählen passt sich dabei nicht nur den einzelnen Figuren an, sondern auch der Zeit die Geschichte spielt, ohne dass sie dabei abgedroschen und alt wirkt. Stattdessen gelingt es ihr, mit ihrem Ausdruck Moderne der damaligen Zeit wieder zum Leben zu erwecken.
Dieser Roman hat eine feine, leicht melancholische, aber dennoch lebensfrohe Note, die vor allem in den Familienkonflikten begründet ist, auch genau hier entsteht der Reiz dieses bemerkenswerten Romans. Als Zuhörer möchte man unbedingt wissen, wie es weitergeht und es spontan von der Geschichte gefesselt.
Atmosphärisch dicht: „Die Schokoladenvilla“ mit allen Sinnen erleben
Tatsächlich habe ich im Verlauf der Geschichte selbst häufig das Gefühl die Geschichte selbst mit allen Sinnen zu erleben. Dieses ist vermutlich in vielen kleinen Details begründet, die Maria Nikolai in die Geschichte hineinwebt. Auf diese Weise hat man häufig den Geschmack von Schokolade auf der Zunge, während Judith in ihrer Versuchsküche experimentiert und durchlebt häufig auch ihre Gefühle hautnah mit.
Nah dran durch personale Erzähler
Dieser Roman ist durchgängig und trotz einiger Perspektivwechsel in der dritten Person erzählt. Aus diesem Grund könnte man annehmen es handele sich um einen auktorialen Erzähler. Da wir jedoch nichts über Gedankengänge der Handelnen erfahren, was die Motive der Figuren lange verbirgt, handelt es sich nicht etwa um den besagten auktorialen Erzähler, sondern um eine ganze Reihe von personalen Erzähler oder vielmehr um Erzähler, die unterschiedlichen Personen zugeordnet sind.
Also zum Beispiel Judith oder ihrem Vater oder Victor. Durch die unterschiedlichen Perspektiven lassen sich die einzelnen Hauptfiguren identifizieren. Jede Hauptfigur erhält in diesem Roman ihre eigene Perspektive.
Durch die Perspektivwechsel erfährt der Zuhörer zu jeder Zeit ein wenig mehr, als jede einzelne Figur und bekommt ein gutes Gespür für potenzielle Gefahren, die einzelnen Figuren drohen. Gleichzeitig bleiben die Motive aber lange verborgen, was die Spannung erhöht und das Gefühl von drohenden Gefahren eher unterschwellig erscheinen lässt. Das Gefühl eines Wohlfühlromans bleibt also durchgängig bestehen.
Über die Autorin Maria Nikolai
„Maria Nikolai liebt historische Stoffe, zarte Liebesgeschichten und Schokolade. Mit ihrem Debüt »Die Schokoladenvilla« schrieb sie sich in die Herzen ihrer Leserinnen und stand monatelang auf der Bestsellerliste. »Die Schokoladenvilla: Goldene Jahre« ist der zweite Teil der großen Bestsellertrilogie rund um die Stuttgarter Fabrikantenfamilie Rothmann.“ (derHörverlag)
Über die Sprecherin Beate Himmelstoß
„Beate Himmelstoß wurde 1957 in Starnberg geboren. Nach dem Abitur studierte sie Philosophie und Theaterwissenschaft in München und machte eine private Schauspielausbildung. Sie ist eine der bekanntesten Stimmen des Bayerischen Rundfunks. Außerdem gestaltete sie mehrere Lyrikprogramme mit Musik und hält regelmäßig Originaltextlesungen philosophischer Texte.
Für den Hörverlag las sie u. a. Agatha Christies Klassiker »16:50 ab Paddington« und »Bertrams Hotel«, »Belgravia« von Julian Fellowes, »Der Zug der Waisen« von Christina Baker Kline sowie »Das rote Adressbuch« von Sofia Lundberg.“(derHörverlag)
Mit ihrer besonderen Art diesen Roman zu lesen, gibt sie jeder Figur ein Gesicht und steigert noch einmal die Sogwirkung dieses Romans. Sie erweckt mit ihrer Stimme die Figuren zum Leben.
Fazit
Der Auftakt einer Trilogie vermittelt dem Zuhörer eines Hörbuchs zumeist ein Gefühl für die einzelnen Figuren und ihre Geschichten, ihre Sehnsüchte, ihre Konflikte und ihre Wünsche für die Zukunft. All das zeigt sich auch im Auftakt „Die Schokoladenvilla“ von Maria Nikolai, die ich in den vergangenen Tagen sehr gerne gehört habe.
Da mittlerweile auch schon Teil zwei auf dem Markt ist habe ich mir den zweiten Teil gleich mitbestellt, ich hatte das Glück, beide Hörbücher gleich hintereinander zu bestellen. Tatsächlich habe ich dem Reiz nicht widerstehen können, denn Schokolade ist natürlich selbst eine süße Verlockung.
In Verbindung mit einem historischen Roman, der so viel Wohlfühlcharakter verspricht, wie dieser hier, musste ich einfach zugreifen. Den zweiten Teil werde ich Euch in den nächsten Tagen vorstellen. Bis dahin kann ich nur eins sagen: Lasst Euch in die weite Welt der Schokolade entführen und greift zu diesem Hörbuch!
No Responses