„Schwimmen Tote immer oben? Die häufigsten Irrtümer über die Rechtsmedizin“ von Michael Tsokos weckte, als ich anfing es zu lesen, die Erwartung eines klassischen Sachbuchs über die häufigsten Irrtümer der Rechtsmedizin. Was ich bekam, war ein erzählendes Sachbuch das die Fiktion, wie sie zum Beispiel im Tatort gezeigt wird, nur wenig mit der Realität eines Rechtsmediziners zu tun hat. Trotzdem wage ich es an dieser Stelle zu behaupten, dass auch er die Kultreihen des Tatorts schaut und sich von diesen ab und an gut unterhalten fühlt. Diese Behauptung könnte ich nun damit begründen, dass er selbst Beispiele aus zahlreichen Tatort-Folgen vorstellt und diese dann äußerst humorvoll auf seinen Wirklichkeitsgehalt hin überprüft.
Die Faszination des Gegensatzes: Krimis und Thriller aus der Rechtsmedizin
Seit einigen Jahren gibt es einen Trend um die Krimi- und Thrillerserien mit Pathologie-Schwerpunkt (wie Bones oder CSI) und hat auch das Ansehen echter Rechtsmediziner verändert. In den Serien erscheinen sie dabei all zu oft als Universalisten. Da es in der Rechtsmedizin aber ebenso viele Profession gibt wie in der Humanmedizin ist dieser Umstand ein wenig überraschend.
Glaubt der Fernsehzuschauer wirklich in der Rechtsmedizin würden lauter Tausendsassa arbeiten, die in scheinbar jedem Gebiet über das benötigte Expertenwissen verfügen? Ich selbst stimme Tsokos zu, dass dieser Umstand eher dem Wiedererkennungswert und der Identifikation mit den Hauptfiguren geschuldet ist. Zudem würde eine Umsetzung, die auf der Realität basiert, eine unüberwindbare Herausforderung für den Cast einer Verfilmung bedeuten.
Doch was ist das für eine Faszination, die den Trend um Krimis und Thriller aus der Rechtsmedizin begünstigt. Bereits im Vorwort von „Schwimmen Tote immer oben? Die häufigsten Irrtümer über die Rechtsmedizin“ spekuliert Tsokos selbst ein wenig und äußert die Vermutung, dass Krimis und Thriller vor allem von jenen Lesern gelesen werden, die aus einer besser gestellten Gesellschaftsschicht stammen.
Diese Leser nutzen also die Gelegenheit, aus ihrer scheinbar sicheren Umgebung in die Abgründe der menschlichen Seele zu blicken. Dabei machen sie es sich zum Vorteil, den Krimi oder Thriller jederzeit beiseite legen zu können oder das Fernsehprogramm zu wechseln. Wir Krimi- und Thrillerfreunde nehmen demnach eine Auszeit in der Welt des Bösen. Trotzdem bekommen wir im Buch oder im Fernsehen nur eine vereinfachte Darstellung der Wirklichkeit geboten und bekommen Fakten präsentiert, die sich nur all zu oft als Halbwahrheiten erweisen.
Michael Tsokos erläutert 30 Irrtümer über die Rechtsmedizin
In seinem aktuellen Sachbuch erläutert Michael Tsokos 30 ausgewählte Irrtümer über die Rechtsmedizin, die viele Rezipienten von fiktiven Krimis und Thrillern für die Wirklichkeit annehmen. Dabei geht es Irrtümer aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Damit ihr einen Einblick bekommt, worum es genau geht, zitiere ich an dieser Stelle aus dem Inhaltsverzeichnis des Buches:
- „Irrtum Nr. 1: Dem Großteil aller Sektionen liegen Tötungsdelikte zugrunde
- Irrtum Nr. 2: Rechtsmediziner und ermittelnde Kriminalbeamte bilden immer ein festes Team
- Irrtum Nr. 3: Rechtsmediziner arbeiten nur am Leichenfundort oder im Sektionssaal
- Irrtum Nr. 4: Rechtsmediziner ist der ideale Job für alle, die keine Menschen mögen
- Irrtum Nr. 5: Eine »Virtopsy« macht eine »echte« Obduktion überflüssig
- Irrtum Nr. 6: Wasserleichen treiben auf der Wasseroberfläche und mit dem Gesicht nach oben
- Irrtum Nr. 7: Bei Ertrunkenen findet man bei der Obduktion Wasser in den Lungen
- Irrtum Nr. 8: Verdächtige werden verhört
- Irrtum Nr. 9: Autoerotik findet im Auto statt
- Irrtum Nr. 10: Bis ein Leichnam vollständig mumifiziert ist, vergehen viele Jahre
- Irrtum Nr. 11: Kataleptische Totenstarre ist zwar ein seltenes, in der Rechtsmedizin und bei der Leichenschau aber durchaus in Einzelfällen zu beobachtendes Phänomen
- Irrtum Nr. 12: Man kann seinen Körper der Rechtsmedizin für wissenschaftliche Zwecke vermachen
- Irrtum Nr. 13: Es liegt immer nur ein Leichnam im Institut auf dem Sektionstisch
- Irrtum Nr. 14: Die meisten Tötungsdelikte sind das Resultat ausgeklügelter krimineller Planungen
- Irrtum Nr. 15: Die ärztliche Schweigepflicht erlischt nach dem Tod
- Irrtum Nr. 16: Der Scheintod ist eine Erfindung von Krimiautoren und Horrorfilmmachern
- Irrtum Nr. 17: Das Phantombild eines mutmaßlich Tatverdächtigen lässt sich auf der Basis des Ergebnisses von DNA-Analysen anfertigen
- Irrtum Nr. 18: Ein Griff an die Wade eines Erhängten gibt Auskunft darüber, ob er wirklich tot ist
- Irrtum Nr. 19: Wenn ein vermeintlicher Suizident die Schusswaffe in der Hand hält, ist dies ein sicheres Indiz für ein Tötungsdelikt
- Irrtum Nr. 20: Schwarze Lungen sind Raucherlungen
- Irrtum Nr. 21: Das Team eines rechtsmedizinischen Instituts beschränkt sich auf einen sehr überschaubaren Personenkreis
- Irrtum Nr. 22: Stark fäulnisveränderte Leichen können wie Walkadaver explodieren
- Irrtum Nr. 23: Der Rechtsmediziner kann bei Schussverletzungen Ein- und Ausschuss sicher unterscheiden
- Irrtum Nr. 24: Die Obduktion eines Verstorbenen ist nur mit Zustimmung der Angehörigen statthaft
- Irrtum Nr. 25: Jeder Rechtsmediziner ist in Personalunion Experte für forensische Pathologie, Toxikologie, Molekulargenetik, Anthropologie, Entomologie, Ballistik, Profiling …
- Irrtum Nr. 26: Um Tierbisse an einer Leiche nachweisen zu können, bedarf es eines Zoologen, ein Rechtsmediziner ist dazu nicht in der Lage
- Irrtum Nr. 27: Eine Obduktion endet mit dem Zeitpunkt der Feststellung der Todesursache
- Irrtum Nr. 28: Bei der Bestimmung des Todeszeitpunkts ist die Entomologie integraler und unverzichtbarer Bestandteil der Arbeit in der Rechtsmedizin
- Irrtum Nr. 29: Jemanden zu erwürgen ist eine effektive und insbesondere sehr schnelle Mordmethode
- Irrtum Nr. 30: Die sichere Unterscheidung von Schnitt- und Stichverletzungen gestaltet sich für den Rechtsmediziner schwierig“
Bei einigen der Irrtümer in „Schwimmen Tote immer oben? Die häufigsten Irrtümer über die Rechtsmedizin“ von Michael Tsokos musste ich schmunzeln, bei anderen war mir selbst nicht bewusst. Ich vermute mal, euch geht es ähnlich.
Der Stil des Buches „Schwimmen Tote immer oben?“ von Michael Tsokos
Bei aller Ernsthaftigkeit hat Michael Tsokos das Talent den Leser nicht nur zu informieren, sondern auch zu unterhalten. Ohne den Leser mit Fachsprache oder Berufsjargon zu überfordern, räumt er mit den Mythen auf, die in den Köpfen der Leser existieren.
Der Stil in dem Michael Tsokos diese Mythen aufklärt, hat dabei keinen belehrenden Charakter, sondern liest sich eher so, als würde sich der Leser mit dem Autor unterhalten. Im wahrsten Sinne des Wortes lässt sich der Stil in dem dieses scheinbare Gespräch stattfindet tatsächlich als unterhaltend beschreiben. Theoretisch könnte man sagen, er vermittelt Äußersten amüsant und unterhaltsam theoretisches Wissen über den Tod und das Ableben von Menschen.
Doch wir alle ziehen es vor die Pathologie möglichst nicht aufsuchen zu müssen, weder als Opfer, das rechtsmedizinisch untersucht werden muss, noch als Angehörige. Dennoch übt die Pathologie auf uns, die wir Krimis und Thriller lesen oder schauen, einen gewissen Reiz aus.
Über den Autor Michael Tsokos
„Michael Tsokos, 1967 geboren, ist Professor für Rechtsmedizin und international anerkannter Experte auf dem Gebiet der Forensik. Seit 2007 leitet er das Institut für Rechtsmedizin der Charité. Seine Bücher über spektakuläre Fälle aus der Rechtsmedizin sind allesamt Bestseller.“ (Droemer Knaur)
Fazit zu „Schwimmen Tote immer oben?“ von Michael Tsokos
Mit seinen zahlreichen kurzen Kapiteln ist „Schwimmen Tote immer oben? Die häufigsten Irrtümer über die Rechtsmedizin“ von Michael Tsokos gleichzeitig informativ und unterhaltsam und sorgt dafür, dass gefährliches Halbwissen abgebaut wird, gleichzeitig steigert es aber noch die Freude daran sich mit dem fiktiven Krimi- oder Thriller-Genre zu beschäftigen, da uns zukünftig sicherlich die ein oder andere fiktive Freiheit ins Auge springen wird. Für alle Fans von Krimi oder Thriller sollte dieses Sachbuch zu einer Pflichtlektüre werden.