„Oktoberfest 1900 – Träume und Wagnis“ von Petra Grill machte mich neugierig, da es unterhaltsame Betrachtung des Oktoberfests von 1900 versprach. Schnell musste ich aber feststellen, dass dieser Roman weniger ein unterhaltsames als vielmehr ein ernsthaftes Buch darstellt.
Dass das Buch „Oktoberfest 1900 – Träume und Wagnis“ von Petra Grill in München spielt es wohl nicht weiter verwunderlich, dass es dabei nicht vordergründig um die Geschichte des Oktoberfests geht hingegen schon. Tatsächlich habe ich den Eindruck gewonnen, dass es bei diesem Buch eher um die Themen Frauenrechte, Kannibalismus sowie Bier und Macht geht. Somit betrachte dieses Buch eher die Umstände, des Oktoberfests zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Wenn aus diesem Grund würde ich dieses Buch auch nicht klassischer Weise zu einem Unterhaltungsroman erklären, vielmehr ist ein Roman, der auf wahren Begebenheiten zu beruhen scheint und den ich deshalb der ernsten Literatur zuordnen würde.
Worum geht’s bei „Oktoberfest 1900 – Träume und Wagnis“ von Petra Grill?
Nun, die Frage worum es bei diesem Buch geht, lässt sich nicht mit wenigen Worten beschreiben. Vielmehr müsste ich jetzt die gesamte Geschichte der Geschichte hinter dem Oktoberfest aufrollen.
Es geht um Schankmädchen und -frauen, die mal abgesehen vom Trinkgeld keinerlei Lohn erhalten. Darüber hinaus geht es um Frauen, die bei der Wahl des Ehepartners nicht gefragt werden.
Gleichzeitig geht es um den Rassismus im Kolonialismus, den es zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch gab. Mutmaßlich könnte man sogar sagen, es geht um Kannibalismus, denn auch dieser spielt scheinbar eine Rolle.
Wichtiger, als all diese Themen sind aber natürlich die Themen Bier und Macht (letzteres in Verbindung mit Geld, denn wer Geld hatte, galt und gilt als mächtig).
„Oktoberfest 1900 – Träume und Wagnis“: Eine Geschichte zwischen den gesellschaftlichen Schichten
In der Geschichte selbst gibt es scheinbar drei verschiedene Perspektiven. Es gibt die Perspektive der Colina Kandl, die sich als Kellnerin ihren Lebensunterhalt verdient. Eigentlich hat sie keinerlei böse Absichten, doch scheint ihr Job nicht nur darin zu bestehen, den Gästen das Bier auf die Tische zu stellen, sondern auch als eine Art Animierdame mit gewissen Vorzügen zu arbeiten.
Die Animierdame ist Colina allerdings nur widerwillig und so ergreift sie eine Gelegenheit, aus diesem Arrangement auszubrechen. Wenig später tritt sie eine neue Stelle an, als Anstandsdame für Clara Prank.
Die 19-jährige soll demnächst in die Gesellschaft eingeführt werden und schon bald einen geeigneten Ehemann finden. Dass Colina sich diese Stelle erschlichen hat, erscheint dabei für alle recht offensichtlich.
Was weniger offensichtlich ist, ist die Tatsache, dass Clara gegen ihre höhere gesellschaftliche Stellung randaliert. Sie macht scheinbar alles um etwas gegen das vermeintliche Ehe-Korsett zu unternehmen.
Die Rolle als zukünftige Frau von irgendwem ist ihr zuwider. Sie romantisiert diese Verbindungen und träumt davon selbst entscheiden zu dürfen. Etwas unpassend erscheint es da, dass ausgerechnet Colina ihr eine Gelegenheit gibt, mit dieser Rebellion Erfolg zu haben.
Was zunächst als zwei Perspektiven erschienen war, entpuppt sich gegen Mitte des Buches zunehmend als eine Perspektive, denn Clara und Colina verbindet etwas. Sie beide haben ein Problem damit, den Vorstellungen, die an sie herangetragen werden, weil sie Frauen sind, zu entsprechen. Beide würden gerne aus der Situation ausbrechen, schaffen es aber nicht ohne einander. Ob es miteinander möglich ist, erweist sich zunächst als unklar.
Die dritte Perspektive, die eigentlich eher die zweite Perspektive darstellt, jene Position, die die Polizei warten in dieser Geschichte einnehmen. Konkret erleben wir nämlich, dass zwei Beamte etwa nach einem Drittel des Buches damit beginnen, einen Fall von Kannibalismus aufzuklären.
Gleichzeitig ist es ihr Job, auf dem Oktoberfest für Ordnung zu sorgen, sowie angrenzende Feste auf ihre Sittentauglichkeit zu überprüfen. Das alles machen die Herren Polizisten mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen.
Zunächst war ich mir nicht sicher, was mir diese Position oder besser gesagt diese Perspektive der Beamten zeigen sollte. Allerdings wird relativ schnell klar, dass die Polizisten in vielerlei Hinsicht unterschiedliche Meinungen vertreten. Zum einen sowohl was die Frauen angeht, zum anderen aber auch was die Völkerschau und ihre Bewohner angeht.
Haben Sie zunächst den Eindruck, dass es sich bei den „Wilden“ aus den Kolonien Kannibale handelt, ändern sie ihre Meinung im Verlaufe der Geschichte um „Oktoberfest 1900 – Träume und Wagnis“ von Petra Grill.
Da diese Betrachtungen häufig einer Form von Unwissenheit und Kenntnis und nicht zuletzt auch Angst vor der Fremde ist, könnte ich mir gut vorstellen, dass die hier gezeigten Polizisten auch ein Sinnbild für das Volk der damaligen Zeit darstellen.
„Oktoberfest 1900 – Träume und Wagnis“ von Petra Grill: Unwissenheit als Machtelement
Die geschilderte Thematik um die Völkerschau zeigt dabei allerdings nicht nur die Ähnlichkeit der Polizei mit dem damaligen Volk, sondern verdeutlicht gleichzeitig, dass es sich bei dieser Situation ebenfalls um eine Art Machtkampf handelt, denn wüssten die Beamten, dass es sich bei den scheinbar „wilden Menschenfressern“ in Wahrheit nur um Ureinwohner aus dem Gebiete Samoa handelt, wäre die Situation vermutlich eine ganz andere.
Ihre Unwissenheit, die ebenso auch das Volk betrifft, lässt sie aber verunsichert zurück und ihre Handlungen zwar nachvollziehbar und logisch erscheinen, jedoch gleichwohl auch menschenverachtend.
Warum „Oktoberfest 1900 – Träume und Wagnis“ von Petra Grill keine klassische Unterhaltung bietet
Wer sich nun fragt, warum diese eigentlich recht spannende Geschichte für mich keine klassische Form der Unterhaltung darstellt, erhält natürlich ebenfalls eine Antwort. „Oktoberfest 1900 – Träume und Wagnis“ scheint eine Geschichte zu erzählen, die auf wahren Begebenheiten beruht. Ob sie tatsächlich der Realität entspricht, kann ich nicht beurteilen, das müssen andere tun.
Allerdings spielen in dieser Geschichte zahlreiche bekannte Figuren und Situationen, die sich tatsächlich zugetragen haben, eine nicht ganz unwesentliche Rolle. So beschäftigt sich dieses Buch auf eine bestimmte Art und Weise mit den gesellschaftlichen Betrachtungen und Entwicklungen jener Zeit.
Sicherlich gibt es viele Aspekte, die ich an diesem Buch mit einer gewissen Skepsis betrachte und auch betrachten muss, aber es gibt ebenso auch Fakten, die man nicht einmal hinterfragen muss. Die Tatsache, dass die Schankmädchen und -frauen sich prostituiert haben, um damit ihre Trinkgelder aufzubessern ist aktuell wohl gemeinhin bekannt.
Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass es tatsächlich auf solchen Volksfesten auch Völkerschauen gab, die ich persönlich sehr kritisch sehe, da sie meiner Meinung nach den Rassismus befeuerten.
Hätte man diese Völker schauen tatsächlich dazu genutzt, für Toleranz und ein Miteinander zu sorgen, wäre für einen interkulturellen Austausch gesorgt worden, doch tatsächlich wurden die vorhandenen Vorurteile bestätigt oder zumindest so getan als wären sie bestätigt worden.
Nur wer selbst einmal Reisen in die entsprechenden Regionen der Welt unternommen hat, konnte urteilen, ob diese Darstellungen, die in einer Völkerschau präsentiert wurden, der Realität entsprachen.
Eben aufgrund dieser Parallelität zur Realität, ist es schwierig für mich, zu sagen, dass „Oktoberfest 1900 – Träume und Wagnis“ klassischer Weise meiner Unterhaltung dient. Tatsächlich habe ich mich nämlich ein ums andere Mal sehr über diesen Roman aufgeregt.
Er menschenunwürdige Verhältnisse zeigte, die zwar möglicherweise der Realität entsprochen haben, für mich aber in einem Unterhaltungsroman nicht unbedingt zur Stimmung beitragen.
So hätte ich zum Beispiel gut auf die Handlungsstrang mit den Ureinwohnern und dem Thema Kannibalismus verzichten können, denn auch wenn diese Themen sicher wichtig sind, sind sie für mich keinesfalls Themen, die meiner Unterhaltung dienen sollten. Übrigens nicht nur meiner Unterhaltung, sondern die Unterhaltung jedes Lesers Roman.
Gleichwohl ist mir allerdings bewusst, dass solche Themen, wenn man sie in einem Unterhaltungsroman unterbringt noch einmal eine ganz neue Zielgruppe erhalten und möglicherweise als aufklärend bezeichnet werden müssen.
Was ich schwierig finde, ist darüber hinaus auch noch die Tatsache, dass „Oktoberfest 1900 – Träume und Wagnis“ für mich ein Roman ist, den ich eigentlich dazu auserkoren hatte, mich auf das Oktoberfest einzustimmen. Meine Erwartungshaltung an diesem Roman war also ein wenig anders.
„Oktoberfest 1900 – Träume und Wagnis“: die Stilistik
Neben der Handlung entsprach auch die Stilistik von „Oktoberfest 1900 – Träume und Wagnis“ nicht unbedingt dem, was ich erwartet hatte. Petra Grill erzählt eine Geschichte, die man durchaus mit einer gewissen Emotionalität und Lebendigkeit hätte erzählen können.
In Wahrheit jedoch erscheint es mir so, als hätte sich die Autorin bewusst dafür entschieden, die Geschichte von außen zu betrachten. Ihre Darstellung ist nüchtern, sachlich, ja geradezu emotionslos und doch hat man das Gefühl, mittendrin zu sein in einer Geschichte, die durchaus lebendig und wahrhaftig sein könnte.
Genau diese Lebendigkeit ist es im Umkehrschluss aber auch, die ich bei dieser Form der Darstellung vermisse, denn betrachte ich das, was ich mir von „Oktoberfest 1900 – Träume und Wagnis“ versprochen habe, so muss ich sagen, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich von diesem Roman nun ein wenig enttäuscht bin, oder beeindruckt.
Beide Empfindungen hätten jedenfalls ihre Berechtigung, denn Petra Grill ist es gelungen, jeder einzelnen Figur ihre ganz eigene Charakteristik und Sprache zu geben, sie in all ihren Handlungen glaubhaft zu erscheinen und doch bleibt die Geschichte selbst abstrakt.
„Oktoberfest 1900 – Träume und Wagnis“: Sprache und Atmosphäre
Bereits im Aspekt des Stilistik habe ich geschrieben, dass die Sprache der Autorin eher frei von Emotionen erschien. Tatsächlich trägt diese von der Sprache aber auch gleichwohl zur Atmosphäre bei, denn durch die Inszenierung der einzelnen Figuren gelingt es Petra Grill mit der bewusst gewählten Sprache zur Atmosphäre beizutragen.
Aufgrund aufgrund des bayerischen Dialekts und aufgrund der unterschiedlichen Sprache je nach Bildungsstand, erzeugt die Autorin bei aller Nüchternheit und abstrakter Zeit eben doch eine gewisse Nähe zu jeder einzelnen Figur. Sie erzeugt eine Stimmung und schafft es somit, zur Atmosphäre in „Oktoberfest 1900 – Träume und Wagnis“ beizutragen.
Über die Autorin Petra Grill
Petra Grill ist aufgewachsen und ansässig in Erding. Das Oktoberfest kennt und liebt sie seit ihrer Kindheit. Gern denkt sie daran zurück, wie sie schon als Kind mit ihren Eltern zwischen Schiffschaukeln, Karussells und dem Duft von gebrannten Mandeln über die Theresienwiese ging.“(Autorenbiografie)
Fazit zu „Oktoberfest 1900 – Träume und Wagnis“ von Petra Grill
„Oktoberfest 1900 – Träume und Wagnis“ ist ein Roman, der ja auch im Rahmen eines Filmevents im Ersten gezeigt wird. Trotzdem fiel es mir nicht leicht, einen Zugang zum Roman zu finden. Stattdessen brauchte es die ersten 100-150 Seiten, ehe ich tatsächlich herausgefunden hatte, wie „Oktoberfest 1900 – Träume und Wagnis“ von Petra Grill zu funktionieren schien.
Und obwohl ich am Ende des Buches besser mit der Geschichte um „Oktoberfest 1900 – Träume und Wagnis“ von Petra Grill zurecht kam, blieb bei diesem Buch stets das Gefühl zurück, das sich mit der Geschichte nicht warm geworden wäre. Versteht mich nicht falsch, die Idee der Geschichte ist gut, bei der Ausführung jedoch hätte ich mir persönlich ein paar andere Schwerpunkte und möglicherweise auch eine herzlichere Stilistik gewünscht.
Alles in allem bleibt bei „Oktoberfest 1900 – Träume und Wagnis“ von Petra Grill das Gefühl: „Ich habe es gelesen und ich habe einiges über das Oktoberfest gelernt!“ Ob wir dieses Buch aber lange in Erinnerung bleiben wird, kann ich nicht abschließend beurteilen.
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