Kürzlich las ich auf der Website des Kölner Stadtanzeigers etwas über Martin Walsers neustes Buch „Gar alles oder Briefe an eine unbekannte Geliebte“. Zunächst dachte ich an eine Rezension, doch es war mehr als das. Es war eine ungewöhnliche Form von Leitartikel. Der Artikel ließ die Frage aufkommen, ob man „Gar alles oder Briefe an eine unbekannte Geliebte“ als Statement im Rahmen der #metoo-Debatte verstehen kann.
Die Dreiecksbeziehung im Roman keine Seltenheit
Ich habe mir daraufhin den Klappentext und die Leseprobe einmal näher angesehen.
Die Erzählung selbst beschreibt eine scheinbar klassische Dreiecksbeziehung, wie sie in zahlreichen anderen Romanen bereits thematisiert wurde. Justus Mall ist ein Mann, der zwischen zwei Frauen (seiner Ehefrau auf der einen und seiner Geliebten auf der anderen Seite) steht und sie beide zu lieben glaubt. Nach seinem Dafürhalten gibt es auch in der Bigamie so etwas wie Treue. Monogamie wäre demnach längst überholt.Er ist mit der Situation zufrieden, doch sehen seine Partnerinnen dieses anders. Sie beide hätten Justus gerne für sich allein.
Konfliktpotentiale als Initialzündung für Romane
Tatsächlich ist die Idee der Geschichte gar nicht so weit vom Alltag mancher Paare entfernt. Sicher können sich einige Leserinnen und Leser mit den Protagonisten identifizieren. Trotzdem bietet sich so zwischen den einzelnen Figuren genug Konfliktstoff um daraus eine tiefgründige, mitreißende, lesenswerte, wie alltagsnahe Geschichte zu machen. Es ist jedoch schon nach der Leseprobe eindeutig, dass es sich um E-Literatur handelt.
Seine beiden Partnerinnen drängen ihn zu einer Entscheidung, denn die Situation erscheint so nicht länger haltbar. Doch statt eine Lösung für seine innere Zerissenheit zu finden, trägt Justus Mall diese nach außen. Er beginnt einen Blog über seinen inneren Kampf zu führen, wägt hier ab und sucht eine Rechtfertigung. Er argumentiert wägt ab und, sofern ich mir diesen Eindruck erlauben darf, sagt viel mehr als „Ich bin eben euch nur ein Mann!“ Diesen öffentlichen wie gleichermaßen höchst intimen Monolog richtet er an eine weiter unbekannte Geliebte.
Seine Argumente erscheinen dabei keinesfalls abgegriffen, inkonket oder unüberlegt. Nein, man merkt diesem Buch die Reife eines Autors an, der sehr wohl weiß, was im Leben auf dem Spiel steht, wenn eine Ehe oder eine Beziehung zerbricht.
Political Correct? Nicht angestrebt!
Dennoch lässt Martin Walser in diesem Roman seinen direkten Protagonisten bewusst politisch inkorrekt handeln. Dadurch dass der Leser zwar die Rahmenhandlung nachvollziehen kann (eventuell), nicht aber die Position des Protagonisten (bestenfalls), erlebt er hautnah mit, wie politische Korrektheit eigentlich geht. Auch die Anspielungen auch reale Aspekte kann so anders eingeordnet werden.
Statement zur politischen Lage?
Nach allem, was ich über dieses Buch nun erfahren habe, bin ich mir sicher, dass Martin Walser in seinem aktuellen Roman auf aktuelle Probleme unserer Zeit anspielt. Etwas ganz Ähnliches tat er auch schon überaus erfolgreich. Da ich das Buch aber bislang nicht vollständig gelesen habe, sondern mich nur auf Basis des oben genannten Artikels, sowie im Rahmen meiner Möglichkeiten informiert habe, möchte an dieser Stelle weder einordnen noch werten, aber dennoch darauf hinweisen, wie wichtig aktuelle Bücher für die Einordnung unserer politischen Lage ist.
Verändern Bücher unsere Wahrnehmung?
Ja, Bücher sind ein machtvolles Mittel, sich selbst auf Situationen vorzubereiten, die Perspektive eines anderen einzunehmen oder einfach mal über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken. Natürlich gibt es aber auch Bücher, die (lediglich) unterhalten oder entspannen sollen, aber auch jene Bücher sind wichtig. Sowohl E- als auch U-Literatur sind wichtig und können unsere Interpretationen von Situationen beeinflussen. Stellt sich die Frage, ob Bücher eine politische Macht haben. Für mich persönlich ist die Antwort klar: Bücher haben Macht und beeinflussen auch unser Denken und unsere Wahrnehmung von Politik. Was meint ihr?