„Es wird wieder Tag“ von Minka Pradelski erzählt die Geschichte eines jüdischen Säuglings, der am Heiligen Abend 1946 in Frankfurt am Main geboren wird, zum Teil aus Sicht des neugeborenen Kindes. Der kleine Bärel ist das erste jüdische Kind, das nach dem zweiten Weltkrieg in einem katholischen Krankenhaus das Licht der Welt erblickt.
Abwechselnd aus drei Perspektiven und mit zahlreichen Rückblicken auf längst vergangenes erzählt Minka Pradelski die Geschichte einer Kriegs- und Nachkriegsgeneration und ebenso davon, dass manche Ereignisse einen Menschen ein Leben lang prägen.
Die ungewöhnliche Einstiegsperspektive dieser Geschichte führt natürlich gleich dazu, dass ich als Leserin umso aufmerksamer bin, denn wann wird die Geburt eines Kindes schon aus Sicht eines unheimlich frechen aber ebenso auch allwissenden Neugeborenen erzählt.
Die Sogwirkung endet jedoch schlagartig, in dem Moment, in dem man feststellt, dass es um die Nachkriegszeit geht oder sollte ich vielleicht eher sagen sie endet in dem Moment, in dem wir feststellen müssen, dass wir mit der Mutter dieses Neugeborenen in die Vergangenheit reisen.
Denn Mutter, Vater und Sohn begegnen einige Zeit nach erlassen Krankenhauses einer Frau, die als Oberaufseherin im Konzentrationslager gearbeitet. Sie ist mittlerweile selbst in anderen Umständen und genau dieser Umstand ist für die frischgebackene Mutter von Bärel ein Schock.
Um sie auf andere Gedanken zu bringen schlägt ihr Ehemann ihr vor, ihre Gefühle und Gedanken über jene Zeit aufzuschreiben. Ihr geradezu inbrünstig fordert er sie auf, jede Erinnerung an die Zeit im Konzentrationslager mit den eigenen Worten zu fesseln.
„Es wird wieder Tag“ von Minka Pradelski: Eher ernste Lektüre mit besonderem Flair
All das fand ich persönlich nicht unbedingt ausschließlich unterhaltend, denn die Erinnerungen der jungen Frau sind tatsächlich authentisch, emotional und irgendwo auch beängstigend und erschütternd.
Natürlich habe ich mich in der Schule selbst häufig im Geschichtsunterricht, aber auch im Deutschunterricht mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt und doch diese Zeit immer noch eine Zeit für mich, wenn ich ungerne unterhaltende Bücher lese.
Umso erleichterter war ich, als ich feststellte, dass „Es wird wieder Tag“ von Minka Pradelski zwar ein fiktiver Roman ist, aber dennoch keine Unterhaltungslektüre im klassischen Sinne.
Es ist ein Roman, der nachdenklich stimmt, der uns als Leserinnen und Leser zwingt uns mit einer Zeit zu beschäftigen, die mittlerweile fast keine Zeitzeugen mehr besitzt. Denn die Zeitzeugen sind es, die diese Geschichte einst wieder lebendig werden ließ.
Genau dies ist auch die Motivation dieses Romans, der erinnern möchte, an einer Zeit, die nichts mit Toleranz oder Respekt voreinander und vor der Kultur anderer zu tun hat.
Trotzdem zögerte ich ein wenig, als ich damit begann, „Es wird wieder Tag“ von Minka Pradelski zu lesen.Was mich erwartete, wusste ich nämlich zunächst nicht.
„Es wird wieder Tag“ von Minka Pradelski: eine unheimlich schnelle Entwicklung oder doch eher eine Geschichte im Zeitraffer
Eine weitere Sache verwunderte mich zunächst. Es handelte sich hierbei um die Geschwindigkeit, in der sich Bärel weiterentwickelte. War er mir bei einer eigenen Geburt schon ein wenig suspekt, faszinierte mich die Geschwindigkeit, in der Bärel sich zu entwickeln schien, im weiteren Verlauf der Geschichte doch sehr.
Was zunächst wie ein leichtfüßiger Familienroman wird, entwickelt sich schnell weiter, der mit der Begegnung zwischen Mutter Klara und der früheren KZ-Aufseherin Lilliput bekommt die Geschichte nicht meinen anderen Dreh, sondern verlagert sich auch von der Stimmung. Plötzlich ist alles leichtfüßige, was zuvor eine Sogwirkung ausgelöst hat, düster und ja, gegensätzlich zu allem, was zuvor darüber.
Selbst Bärel ist über den Wandel seiner Mutter verblüfft, denn von jetzt auf gleich ist sie nicht mehr in der Lage sich um den kleinen zu kümmern, viel zu sehr hat sie diese Begegnung mitgenommen. Noch immer hat die ehemalige KZ-Aufseherin eine gewisse Macht über sie. Und so wähnt Klara sich und ihre Familie in größter Gefahr.
„Es wird wieder Tag“ von Minka Pradelski: ein Psychogramm ein Gesellschaftsbild seiner Zeit
Durch die Perspektivwechsel zwischen Mutter und Sohn entsteht eine Darstellung der psychologischen Komponente von KZ-Überlebenden. So zeichnet Minka Pradelski, die sich selbst als Sozialwissenschaftlerin mit den Nachwirkungen massiver Traumatisierung bei jüdischen Überlebenden der NS-Zeit beschäftigt hat, eine fiktive Beispielfigur, die für all jene steht, die selbst diese Erfahrung durchlaufen haben. Gleichzeitig zeichnet sie auch das Bild jener Generation, die erst nach der NS-Zeit geboren worden, aber Nachfahren der Überlebenden sind.
Insgesamt ist das Thema der Shoah mit Sicherheit kein leichtes, sich aber über fiktive Personen der Geschichte zu mehr, macht die Sache einerseits sehr lebendig, andererseits aber auch leichter.
In der Schule habe ich „Das Tagebuch der Anne Frank“ gelesen und die Tatsache, dass es sich um eine lebendige Person handelte, machte die Rückblicken der Betrachtung unheimlich authentisch, aber ebenso emotional, denn Anne Frank hat nicht überlebt. Anders war dies bei den Eltern von Minka Pradelski, aber auch bei ihren Figuren.
Anhand dieses Romans, der ebenso authentisch erscheint erfahren wir als Leserinnen und Leser allerdings, dass die Traumatisierung keinesfalls mit der Befreiung der Konzentrationslager endete, sondern diese intensive Form der Traumatisierung über Jahrzehnte und Generationen hinweg verarbeitet werden musste.
Somit muss man wohl davon ausgehen, dass diese Erfahrung ganze Biografien und Familien geprägt hat. Die Tatsache, dass die Autorin dieses Romans selbst wissenschaftlich an diesem Thema arbeitete und gleichzeitig auch persönlich mit diesem Thema zu tun hat, lässt diesen Roman anders erscheinen, als historische Romane, die von christlichen Autoren und Autorinnen verfasst wurden und die NS-Zeit nur am Rande betrachten.
Vor einigen Jahren habe ich „Zwischen uns ein ganzes Leben“ von Melanie Levensohn gelesen und hatte ein ähnlich authentisches Gefühl. Auch wenn es wie auch bei „Es wird wieder Tag“ von Minka Pradelski um eine in Teilen fiktive Geschichte geht, so ist der wahre Hintergrund der Geschichte doch intensiv und ja derartig realistisch dargestellt, dass man als Leser längerer Zeit nicht von diesem Roman losgelassen wird.
Vielmehr entfaltet sich die nachdenkliche Stimmung nicht unbedingt während des Lesens, sondern erst im Anschluss, wenn man das ganze reflektiert.
Über die Autorin Minka Pradelski
„Minka Pradelski, 1947 als Tochter Überlebender im DP-Camp Zeilsheim geboren, studierte Soziologie in Frankfurt am Main und arbeitete danach als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Clemens de Boor im Sigmund-Freud-Institut an dem Projekt »Nachwirkungen massiver Traumatisierungen bei jüdischen Überlebenden der NS-Zeit«. Darüber hinaus war sie viele Jahre ehrenamtlich für die USC Shoah Foundation tätig. Sie lebt in Frankfurt am Main. Nach ihrem erfolgreichen Roman »Und da kam Frau Kugelmann« folgt mit »Es wird wieder Tag« ein wichtiges Buch über ein Kapitel deutscher Geschichte, dessen Zeitzeugen schwinden.“(Frankfurter Verlagsanstalt)
Fazit zu „Es wird wieder Tag“ von Minka Pradelski
„Es wird wieder Tag“ von Minka Pradelski ist ein Roman, er zeigt, wie sehr einen die Erlebnisse und Erfahrungen ein Leben lang prägen und wie nachhaltig Traumata sein können.
Gleichzeitig ist „Es wird wieder Tag“ aber auch ein Roman, der zeigt, dass man selbst jederzeit die Möglichkeit hat, zu einem Traumata, eine Erfahrung und einem Erlebnis zu arbeiten und die Prägung in etwas anderes umkehren kann.
„Es wird wieder Tag“ bedeutet, dass es selbst nach dunklen und beängstigenden Erlebnissen und Erfahrungen, die die Überlebenden durchaus traumatisiert zurücklassen, die Hoffnung darauf besteht, dass das zukünftige Leben besser wird. Das auf die Dunkelheit und negativen Aspekte auch wieder etwas Positives folgt.
Minka Pradelski ist es gelungen, diesen Optimismus darzustellen, ohne sich über ihn lustig zu machen oder gar davon auszugehen, dass der Weg zu einem lebensfrohen Alltag ein leichter sei. Vielmehr zeigt sie, dass man es selbst in der Hand hat, dass man selbst entscheidet, wie sehr einen die Ereignisse aus der Vergangenheit nachhaltig verändern.
Natürlich sind sie prägend, auch das macht „Es wird wieder Tag“ von Minka Pradelski überaus deutlich.
Dabei ist „Es wird wieder Tag“ von Minka Pradelski sprachlich sehr stark und ausgewogen und trotzdem nicht unbedingt für jeden Leser gleichermaßen geeignet. Denn dieses Buch setzt ein Interesse an der damaligen Zeit und am jüdischen Leben unserer Zeit voraus.
Trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb möchte ich es all jenen, die sich schon immer einmal mit dem Thema der nachfolgenden Generationen beschäftigen wollten, „Es wird wieder Tag“ von Minka Pradelski empfehlen. Denn auch wenn die Lektüre dieses Buches sicherlich keine einfache sein wird, so ist sie doch überaus empfehlenswert.
Es wird wieder Tag
"Es wird wieder Tag" von Minka Pradelski erzählt die Geschichte eines jüdischen Säuglings, der am Heiligen Abend 1946 in Frankfurt am Main geboren wird, zum Teil aus Sicht des neugeborenen Kindes. Der kleine Bärel ist das erste jüdische Kind, das nach dem zweiten Weltkrieg in einem katholischen Krankenhaus das Licht der Welt erblickt.
URL: https://www.fva.de/Buecher/Es-wird-wieder-Tag.html
Autor: Minka Pradelski
Autor: Minka Pradelski
ISBN: 9783627002770
Veröffentlichungsdatum: 8/27/2020
Format: https://schema.org/Hardcover
Autor: Marie Lanfermann
Format: https://schema.org/Hardcover
5