„Requiem am Comer See – Ein Fall für Giulia Cesare“ von Clara Bernardi ist ein Krimi, der in einer typischen Urlaubsregion spielt und dennoch ist er meiner Ansicht nach kein klassischer Urlaubskrimi. Viel mehr handelt es sich um einen ländlichen Dorfkrimi vor traumhafter Kulisse, bei dem schnell ein ganzes Dorf unter Tatverdacht gerät.
Die Leiche von Angelika Krüger wird nackt vor der kleinen Kirche aufgefunden. Die einstige Opernsängerin aus Deutschland lebte seit mehr als 20 Jahren im kleinen Örtchen Abbadia Lariana und scheint dennoch ein eher zurückgezogenes Leben zu führen. Giulia Cesare nimmt die Ermittlungen auf.
Im Haus der Toten werden jedoch keine Spuren, sondern nur die Fingerabdrücke und Notizbücher der Toten gefunden. Da sie diese in ihrer Muttersprache geführt hat, geben sie Giulia Cesare zunächst nur Rätsel auf. Zumal sie die Namen zahlreicher männlicher Dorfbewohner darin entdeckt. Ein erster Hinweis auf potentielle Verdächtige? Giulia Cesare kann es nicht glauben…
Atmosphärisch opulent
Clara Bernardi ist es gelungen, Figuren zu erschaffen, die mit den Klischees, die man über die italienische Bevölkerung hat, zwar ein wenig zu tun haben, sich jedoch dennoch deutlich von diesen Vorurteilen abheben und unterscheiden.
Ja, vielmehr könnte man den Eindruck erhalten, die Autorin spiele mit den Klischees, breche mit ihnen und nähme ebenso die klassischen Klischees über uns Deutsche auf die Schippe. Eigentlich eine tolle Idee, führt sie jedoch zunächst zu einer ganzen Menge Chaos und zahlreichen Verdächtigen, von denen man aber eigentlich hofft, dass sie unbeteiligt seien.
Dabei zeigt sie gleichermaßen auf, wie schön das Leben rund um den Comer See ist. So lässt sie die Bewohner des Dorfes und allen voran Commissario Giulia Cesare Wein und das gute Essen Italiens genießen. Die Stimmung ist zumeist ausgelassen, ja fast ein wenig turbulent.
Dieser Umstand lässt das Buch und seine Geschichte äußerst schnelllebig erscheinen und nimmt den Leser von Anfang an mit. Fast schon könnte man den Eindruck bekommen, man selbst sei eine Bewohnerin oder ein Bewohner des Dorfes.
Italien erlebt man mit allen Sinnen, heißt es, und genau genommen könnte man bei „Requiem am Comer See“ den Eindruck gewinnen, dass es Clara Bernardi genau um diesen Umstand geht. Sie stellt den Fall immer wieder ein wenig hinter den Ereignissen des Dorfes zurück, ohne die Spannung dabei zu vernachlässigen. Vielmehr spielt sie mit den Geschichten des Dorfes und gibt so scheinbar jedem Bewohner ein Motiv.
Stilistisch Anspruchsvoll, aber leichtfüßig
Als ich damit begann, „Requiem am Comer See“ von Clara Bernardi zu lesen, hielt ich es zunächst für einen leichten Urlaubsroman. Ich hielt es also genau genommen für ein Buch, dass man mal eben in einem Kurzurlaub oder an einem Wochenende lesen kann. Tatsächlich war es durchaus möglich, dieses Buch zügig zu lesen, dennoch hatte es den Anspruch, keinesfalls alltäglich zu sein, sondern über eine gewisse psychologische Tiefe zu verfügen.
„Requiem am Comer See“ von Clara Bernardi entführte mich als Leserin in die Kultur Italiens, in ein dörfliches Leben, das vor allem durch die Gemeinschaft geprägt wurde. Gleichzeitig jedoch war die Sprache stets gehoben, so dass man nie das Gefühl hatte, die Figuren wären salopp oder einfältig.
In der Sprache zeigt sich auch Clara Bernardis Liebe zum Detail. So gibt sie jeder Figur über die Sprache ihr eigenes Gesicht, dies gilt für Giulia Cesare ebenso wie für die Bestatterin, die die Leiche abtransportiert und schon seit vielen Jahrzehnten im Dorf lebt, aber auch für Giulias Vorgesetzte, die versucht ihre eigene Herkunft zu leugnen.
Jede einzelne Figur hat ihre eigene Sprache, die ihre Charaktere noch einmal verstärkt. Dabei drücken sich alle stets gekonnt und gewählt aus. Besonders amüsant ist dies in stressigen Zeiten, denn selbst Brutus, der Postbote des Dorfes und Giulias bester Freund seit Schulzeiten, flucht nie, obwohl er die Leiche gefunden hat. Stattdessen weiß er sich bei allem Stress gewählt und adäquat auszudrücken. Ist Brutus eine Nebenfigur? Nein, natürlich nicht, vielmehr unterstützt er seine beste Freundin nach allen Möglichkeiten, die sich ihm bieten und trägt schließlich sogar zur Lösung des Falls bei.
Unterhaltsamer Spannungsbogen
Bei dem Krimi steht die Spannung stets im Vordergrund, sagt man. Bei „Requiem am Comer See“ von Clara Bernardi erscheint dies von Anfang an ein wenig anders, denn neben der Spannung gibt es ein weiteres Kriterium, das der Autorin wichtig gewesen sein muss. Es handelt sich hierbei um die Unterhaltung. So verknüpft sie stets eine unterschwellige Spannungskomponente mit der Unterhaltung.
Sie erzählt über die einzelnen Dorfbewohner und ihre Familien immer wieder kleine Geschichten, die in irgendeiner Weise zu diesem Fall passen und eine potentielle Verdachtsituation entweder stärker machen oder schwächen, aber in irgendeiner Weise stets die Verbindung zwischen der Kommissarin und der Dorfbewohnerin oder dem Dorfbewohner hervorheben.
All das sorgt nicht nur für Spannung, sondern auch für Unterhaltung. Scheinbar mit jedem Dorfbewohner verbindet Giulia Cesare irgendeine Kleinigkeit, irgendetwas, das sie in all den Jahren mit den Figuren erlebt hat. Diese Geschichten erzählt sie bei der ersten Begegnung mit der Figur.
Was auf den ersten Blick ein wenig merkwürdig erschien, erweist sich für den Fortlauf der Geschichte als orientierend und prägend, verstärken sie doch die charakterlichen Wahrnehmungen der einzelnen Figuren durch diese eingeschobenen Erinnerungen, durch die Anekdoten und Kleinigkeiten, die die Kommissarin mit ihren Dorfbewohnern erlebt hat.
Insgesamt habe ich einige Male geschmunzelt und mich gut unterhalten gefühlt. Doch der Charakter des Opfers selbst blieb lange genug im Verborgenen, um mich als Leserin neugierig darauf zu machen, wie des Rätsels Lösung denn nun lautete.
Es wurde schon für weniger gemordet
Von der Motivlage ausgehend ist der Fall zunächst genauso spektakulär, da sich viele unterschiedliche Motive anbieten würden und ebenso viele Verdächtige, wie bereits erwähnt. Von Eifersucht über Geldnot bis Rache könnte alles dabei sein und so spekuliere ich als Leserin relativ lange darüber, welches Motiv so schwerwiegend war, dass sich hierfür tatsächlich ein Mord lohnen würde.
In der Psychologie behauptet man, dass jeder zum Mörder werden kann, wenn man für den Einzelnen die richtige Motivation gefunden hat. Während des Lesens habe ich mir genau über diese Motivlage meine Gedanken gemacht. Welche der Figuren hat denn nun das stärkste Motiv und wie bewertet man überhaupt die Stärke eines Motivs? Clara Bernardi hat auf all dies letztendlich eine klare Antwort gefunden, so dass das Ende der Geschichte ebenso überraschend wie glaubwürdig erscheint.
Über Clara Bernardi
„Clara Bernardi ist das Pseudonym der Autorin Julia Bruns, die bereits einige Regionalkrimis veröffentlichte. Julia Bruns studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Psychologie. Nach ihrer Promotion arbeitete sie viele Jahre als Redenschreiberin und in der Öffentlichkeitsarbeit. Die Autorin lebt mit ihrer Familie im Landkreis Sömmerda.“(Dumont Buchverlag)
Fazit zu „Requiem am Comer See“ von Clara Bernardi
Handelt es bei diesem Krimi nun um einen Krimi, der sich für den Urlaub anbietet? Auf jeden Fall, auch wenn er vielleicht nicht perfekt zur kurzfristigen Unterhaltung ist, sondern in einem Rutsch durchgelesen werden möchte. Der Krimi spielt dabei mit den Beziehungen der einzelnen Figuren zueinander und macht ihn so zu einem kleinen Highlight. Ich persönlich freue mich auf die Fortsetzung mit all den lieb gewonnenen Figuren.
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