„Nachtflug“ von Antoine de Saint-Exupéry ist ein weiteres, früheres und philosophisches Werk vom Autor des kleinen Prinzen. In diesem beschäftigt sich der Schriftsteller mit der Frage, wie wertvoll ein Menschenleben ist und was es bedeutet, wenn Wirtschaftspläne über dem menschlichen Wohl stehen. Die Stimmung selbst ist unterschwellig melancholisch und bewegt sich ständig zwischen Hoffen und Bangen. Bis zum bitteren Ende…
Die Geschichte
Rio, 1928: Jeder Pilot in dieser Zeit weiß um das Risiko eines Nachtflug nach Buenos Aires. So geht es natürlich auch dem Postpiloten Fabien.Dennoch befolgt er seine Anweisungen und setzt den Plan um.
Schließlich drängt sein Vorgesetzter darauf, den Flugplan stets einzuhalten. Flugdirektor Rivière verfolgt vom Tower aus die Ereignisse und weiß, dass die Verbindung aus Turbulenzen und Treibstoffknappheit dafür sorgen wird, dass Fabien und sein Flugzeug abstürzen werden. Dass dieser dann durchstoßen der Wolken aber noch einmal einen Anflug von Euphorie verspürt, die sich in keiner Weise begründen lässt, ahnt er nicht. Fabien selbst ist er seit kurzem verheiratet, seine Frau so den Tower auf und erwartet das Schlimmste. Sie weiß bereits, dass sie ihren Mann wohl nie mehr lebend sehen wird und sieht ihre Pläne in Scherben liegen.
Die Entstehung der Geschichte
Antoine de Saint-Exupéry greift in seiner Erzählung auf eigene Erlebnisse zurück. Nicht unbedingt, was den Absturz angeht, sondern eher, was das Arbeitsklima und die Arbeit selbst betrifft. Tatsächlich hatte er als Postflieger gearbeitet.
Erste Erfahrungen mit der Fliegerei sammelte er während seines Militärdienstes. 1926 gab er das Fliegen auf, um seiner damaligen Verlobten einen Gefallen zu tun.Diese befürchtete nämlich, dass sie Antoine durch die Fliegerei verlieren könnte. Beispielsweise durch einen Absturz. Zu diesem Zeitpunkt wurde als Postflieger zwischen Toulouse, Casablanca und Dakar eingesetzt.
Zu einer Eheschließung kam es jedoch nicht. Stattdessen schrieb er zunächst die Geschichte „Südkurier“ und schließlich, nach dem Kennenlernen einer neuen Liebe, Nachtflug.
Also muss ich davon ausgehen, dass er hier mit realen Befürchtungen der damaligen Zeit spielte. Möglicherweise sogar mit Erfahrungen, die er für möglich hielt, denn Antoine de Saint-Exupéry wusste genau worüber er schrieb. Während seiner Zeit beim Militär hatte er nämlich nicht nur Flugerfahrung gesammelt, sondern auch als Mechaniker für Flugzeuge gearbeitet.
Die Charaktere
Auf den ersten Blick scheinen die Charaktere dieser Geschichte schwer greifbar zu sein, doch bei genauerer Betrachtung fällt auf, sie sind nicht schwer zu greifen, sondern gewissermaßen austauschbar. Denn das Angestellte selten Arbeitgebern widersprechen, scheint auch heute noch so zu sein. Häufig wird genau das umgesetzt, was der Vorgesetzte vorgibt und erwartet.
Eins zu eins werden häufig Pläne übernommen, die häufig nicht einmal kritisch hinterfragt werden. Eben deshalb kommt es in dieser Geschichte auch zum Unglück. Eigentlich weiß man am der 1. Minute des Hörbuchs, dass diese Geschichte einen tödlichen Verlauf nehmen wird, doch das Wechselspiel aus hoffen und bangen fördert den Verlauf der Geschichte und schafft gleichzeitig etwas, das mit einem Spannungsbogen zu vergleichen ist.
Dennoch muss man wohl davon ausgehen, dass Antoine de Saint-Exupéry mit dieser Geschichte auch Gesellschaftskritik üben wollte.Möglicherweise übte auch Kritik an der schnelllebigen Zeit, sowie der Hierarchie im beruflichen Umfeld. Somit ist diese Geschichte nicht nur überaus modern, sondern auch zeitlos.
Der Stil der Erzählung „Nachtflug“ von Antoine de Saint-Exupéry
Diese Zeitlosigkeit zeigt sich auch beim Erzähl- und Sprachstil von „Nachtflug“ von Antoine de Saint-Exupéry. So wirkt die Geschichte auch in unserer heutigen Zeit relevant, denn auch wenn die Geschichte bereits 90 Jahre alt ist, könnte sie auch in unserer heutigen Zeit spielen. Sprachlich erscheinen die Anweisungen ebenso wenig abgegriffen, sodass man auch diese einfach in die heutige Zeit übertragen könnte. Auch heute gibt es noch Postflieger, nur heißen sie heutzutage wohl eher Frachtflieger und neben Briefen auch noch Pakete und Lieferungen an Bord.
Vermutlich sind sie heutzutage auch um einiges größer als damals, aber genau genommen wird eine Größe in der Geschichte gar nicht vermittelt. Es könnte ein kleines Flugzeug gewesen sein, dass im Rahmen dieses Hörbuchs abstürzt, aber ebenfalls ein riesiges. Genau genommen ist dies aber für die Geschichte selbst auch egal, denn letztendlich geht es um die Frage, wie wertvoll unser Leben angesichts der Wirtschaftssituation ist.
Schnörkellos erzählt der Autor dabei eine Geschichte, die nicht durch besondere sprachliche Raffinesse oder vielen Details auffällt, sondern durch ihre Persönlichkeit.
Wenn man diese Geschichte hört, glaubt man zunächst, dass sie einfach nur melancholisch ist, einfach so dahinplätschert, mich für eine kleine Weile unterhält. Doch das Gegenteil ist der Fall, denn sobald diese Geschichte ihr Ende nach nur rund zweieinhalb Stunden gefunden hat, bleibt im Gedächtnis und setzt sich dort fest. Ist erst einmal im Gedächtnis angekommen steht sie mir immer wieder die Frage nach dem Wert unseres Lebens.
Stilistisch ist es gerade wegen der Melancholie anders als „Der kleine Prinz“ und doch ebenso philosophisch und wertvoll. Denn diese Geschichte stellt den Wert des menschlichen Lebens keinesfalls unter den wirtschaftlichen Wert, sondern zeigt erst, wie viel wir opfern, wenn wir den Wert unseres Lebens vergessen.
„Nachtflug“ von Antoine de Saint-Exupéry zeigt den Wert des Lebens auf eine kompromisslose Art. Gleichzeitig zwingt er mich 90 Jahre später als Zuhörer seiner Geschichte darüber nachzudenken, was sich ändern müsste, damit der Wert des Lebens nicht von wirtschaftlichen Komponenten abhängt. Denn natürlich sich jeder einzelne darüber bewusst, wie wertvoll das eigene Leben ist, doch bei anderen Menschen scheint dieser Wert auf einmal vergessen.
Über den Autor Antoine de Saint-Exupéry
„Antoine de Saint-Exupéry, geboren am 29. Juni 1900 in Lyon, entstammte einem alten französischen Adelsgeschlecht. Mit 21 Jahren trat er in den zivilen Luftdienst ein und emigrierte im Zweiten Weltkrieg in die USA. 1928 debütierte er mit dem Roman ›Südkurier‹, in dem er wie auch in den nachfolgenden Werken vor allem auf eigene Erlebnisse zurückgreift.
Weltberühmt wurde Antoine de Saint-Exupéry mit ›Der kleine Prinz‹. Am 31. Juli 1944 wurde sein Flugzeug über dem Mittelmeer abgeschossen, von ihm blieb über 50 Jahre keine Spur.“(Fischer Verlag)
Über den Sprecher Gert Westphal
„Gert Westphal, geboren am 5. Oktober 1920 in Dresden. Schauspielausbildung am Dresdener Konservatorium.
Westphal arbeitete als Schauspieler, Sprecher sowie als Theater- und Opernregisseur. 1945 erhielt er sein erstes Engagement an den Bremer Kammerspielen. 1946 begann seine zweite Karriere im Rundfunk als Sprecher bei Radio Bremen, wo er 1948 zum Chef der Hörspielabteilung avancierte. 1953 Wechsel zum Südwestfunk in Baden-Baden. 1959-1980 Mitglied im Ensemble des Zürcher Schauspielhauses. 1980 wurde er als Schauspieler, Regisseur und Rezitator auf der Bühne und in Rundfunkproduktionen freiberuflich tätig. 1984 nannte »Die Zeit« ihn den »König der Vorleser«.
Zu seinen Lieblingsautoren zählten Johann Wolfgang Goethe, Theodor Fontane und Thomas Mann, dessen gesamtes Werk er für den Hörfunk gelesen hat. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Literaturpreis der Stadt Zürich, das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und den deutschen Schallplattenpreis. Gert Westphal starb am 11. November 2002 in Zürich.“(Der Audio Verlag)
Fazit
Antoine de Saint-Exupérys „Nachtflug“ ist eine Geschichte, auf die man sich einlassen muss, ein Klassiker mit viel Tiefgang, der dem Leser oder Hörer Raum zum Nachdenken gibt, im Fragen an die Hand stellt und so motiviert über das eigene Leben und seinen Wert nachzudenken.
Anspruchsvoll ist diese Geschichte sowohl als Buch als auch als Hörbuch bestimmt, aber keinesfalls so schwierig im Verständnis, dass es dem lesenden oder hörenden unmöglich gemacht wird, sich bei dieser Geschichte in die unterschiedlichen Rollen hinein zu versetzen.
Jede einzelne Rolle hat einen hohen Wiedererkennungswert. Jede einzelne Rolle hatte auch ein hohes Identifikationspotenzial. Identifiziere ich mich mit dem Vorgesetzten oder mit dem Angestellten, erlebe ich die Geschichte auf völlig unterschiedliche Weise.
Diese Geschichte erfordert also etwas mehr als das bloße zuhören. Sie erfordert es sich Zeit zu nehmen, zum drüber nachdenken oder um mit „Was wäre wenn“-Fragen zu spielen. Natürlich steigert diese Vorgehensweise den Anspruch, den die Geschichte an ihren Leser oder Hörer stellt, aber letztendlich macht es diese Geschichte wertvoll.
„Nachtflug“ als Hörbuch
Durch die Art, wie Gert Westphal diese Geschichte gelesen hat, ist das Hörbuch gleichzeitig ein Genuss und eine Anstrengung, denn das Hörbuch selbst ist schnelllebig. Alles in dieser Geschichte geht schnell und ist ebenso schnell wieder vorbei, einzig die Gedanken, die sich Fabien oder sein Vorgesetzter machen, ziehen sich wie ein Fluss dahin. Dass die Geschichte selbst nur zweieinhalb Stunden dauert, gerät da schnell in Vergessenheit. Gert Westphal macht sie zu einem Erlebnis.