„Meter pro Sekunde“ von Stine Pilgaard ist ein ungewöhnlicher Roman über das Suchen und Finden von Heimat. Gleichzeitig geht es aber auch um Freundschaft, die Wahrnehmung der Mutterrolle und den Alltag in der Fremde.
Mit einem Neugeborenen zieht Dolph ihrem Freund zu Liebe in ein Dorf namens Velling auf Westjütland. Dieser hat dort eine Stelle als Lehrer an der örtlichen Dorfschule angeboten bekommen. Das Leben im kleinen Örtchen birgt viele Herausforderungen, mit denen die Familie nicht rechnen konnte.
„Meter pro Sekunde“ von Stine Pilgaard: Vom Ankommen
Als ich begann, mich mit Meter pro Sekunde“ von Stine Pilgaard zu beschäftigen, glaubte ich, bei diesem Buch ging es um Geschwindigkeit. Meter pro Sekunde hatte ich für eine Maßeinheit gehalten, doch tatsächlich ist dieses Buch, das ich als Hörbuch gehört habe, mehr als nur die Betrachtung von Geschwindigkeit.
Dolphs Leben macht nicht meine sprichwörtliche Vollbremsung als sie beschließt kurz nach der Entbindung mit ihrem Freund aus der Großstadt in ein kleines Dorf umzuziehen. Mit dieser Entscheidung verändert sich ihr gesamtes Leben. Es macht sprichwörtlich eine Vollbremsung.
Plötzlich ist es deutlich wichtiger, den Schein zu wahren, weil jeder jeden kennt. Die Anonymität der Großstadt wird eingetauscht. Doch auch die Vertrautheit gefühlt jeden im Ort zu kennen, kann ganz schön beängstigend sein, denn scheinbar jeder mischt sich in das Leben der anderen ein.
Während Dolphs Freund sich aufgrund seines Berufs als Lehrer schnell in die Gemeinschaft integrieren kann, ist genau dieses im Ort ankommen für die junge Mutter ein Problem. Schließlich kennt sie sich in diesem Ort gar nicht aus und hat auch keinen Führerschein. Nur zwei von vielen Dingen, die sich im Laufe der Zeit ändern sollen.
Erst nach und nach lernt sie die Gepflogenheiten des Örtchen Velling kennen und nimmt es nicht mehr ganz so tragisch, dass scheinbar jeder für die junge unverheiratete Mutter den ein oder anderen gut gemeinten Ratschlag hat.
„Meter pro Sekunde“ von Stine Pilgaard: Vom Finden
Mit der Akzeptanz dessen, was sich in ihrem Leben verändert hat, beginnt deus endlich auch wieder ihr Leben in die Hand zu nehmen. Als Leserin oder in meinem Fall wohl eher als Hörerin begleite ich Dolph durch diese anfänglich schwierige und ein wenig herausfordernde Phase ihres Lebens.
Dass diese Geschichte aus der ich Perspektive aus deutscher Sicht erzählt wird, lässt sie einerseits emotional tief erscheinen, andererseits aber auch oberflächlich im Bezug auf die anderen Bewohnerinnen und Bewohner des Ortes. Nachdem Dolph ihren Platz im Dorf gefunden hat, verbessert sich ihre Lage Schritt für Schritt.
Sie beginnt Freundschaften aufzubauen, ihre Beziehung zu hinterfragen, einen Job zu finden und schließlich den Führerschein zu machen. Eine Kleinigkeit, die sich als größte aller möglichen Herausforderungen für die junge Mutti entpuppt.
„Meter pro Sekunde“ von Stine Pilgaard: Vom Bleiben
Nachdem sie endlich ihr Leben in der Kleinstadt geordnet hat, kann sie sich schon bald kein anderes Leben als das im Dorf Velling vorstellen. Nach einigen Monaten dort erscheint ihr plötzlich alles viel vertrauter und die Abläufe werden leichter.
Nun fühlt sie sich als Teil der Dorfgemeinschaft. Dies zeigt sich auch in der Tatsache, dass sie nicht mehr in jedem noch so kleinen Vorschlag eine Kritik vermutet, die sie schmälern soll. Stattdessen zeigt sich, wie wichtig in der kleinen Dorfgemeinschaft Freundschaften und das Pflegen von Freundschaften ist. Wer dazugehören will, muss sich einbringen und sich selbst einbringen.
„Meter pro Sekunde“ von Stine Pilgaard: Alltägliches
Was zunächst ein wenig alltäglich erscheint entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als eine Geschichte, die neben viel Alltäglichem und Leichtem auch ausreichend viel Tiefe besitzt, um die Leserinnen und Leser gut zu unterhalten.
Mit einer spielerischen Einfachheit zeigt die Autorin dabei auf, wie komplex das Leben in einer Kleinstadt ist, wie sehr ein Kind das eigene Leben verändert und die gewohnten Abläufe nicht nur kurzfristig durcheinanderbringt.
Gleichzeitig veranschaulicht dieser Roman in einer ungewohnten Stärke aber auch, wie wichtig es sein kann, besagt Herausforderungen des Alltags zu meistern um dann wieder zu sich selbst gefunden zu haben.
Ja, viele von uns wissen sicherlich, dass das Leben vor der Herausforderung steckt und doch stellen wir in nie dagewesene Stärke nach dem Lesen dieser Geschichte fest, dass es für nahezu jedes Problem eine Lösung. Übrigens löst Dolph im Verlauf des Buches nicht nur ihre eigenen Probleme, sondern auch die Probleme in der Dorfgemeinschaft.
„Meter pro Sekunde“ von Stine Pilgaard: Vom Leben als Kummerkasten-Redakteurin
Um auch die Probleme Dritter betrachten zu können, bedient sich die Autorin eines kleinen Tricks. Sie lässt Dolph den Job als Kummerkasten-Redakteurin in der örtlichen Tageszeitung ergreifen und macht so deutlich, dass Dolph hier nicht die Einzige ist, die vor einigen Entscheidungen und Herausforderungen steht oder mit einem Problem konfrontiert ist.
Letztlich handelt es sich bei diesem Roman also um eine Art Gesellschaftsbetrachtung. Wobei man natürlich sagen muss, dass die Geschichte rein fiktiv ist trotzdem bewegt sich die Autorin mit ihrer Geschichte dicht am Alltag mancher Leserin, die sich vielleicht in ihrer jetzigen Lebenssituation nicht ganz angenommen fühlt oder selber mit dem Gedanken spielt von der Großstadt aufs Land zu ziehen.
„Meter pro Sekunde“ von Stine Pilgaard: Eine feine, wortgewandte Erzählung
Ich glaube, dass dieser Roman ein sehr großes Identifikationspotenzial für Frauen hat, die kürzlich selbst Mutter geworden sind oder in eine Kleinstadt umgesiedelt sind. Dieser Roman bietet aber auch ein hohes Identifikationspotenzial für all jene, die gerade nach einem Platz in ihrem Leben suchen.
Ist einerseits die Alltäglichkeit, die diesen Roman besonders erscheinen lässt, andererseits ist aber auch die Wortgewandtheit, mit der Stine Pilgaard ihre Erzählung präsentiert. Wortgewaltig und trotzdem zart gelingt es ihr mich als Hörerin der Geschichte in den Bann zu ziehen.
Auch wenn ich die Geschichte anfangs sehr ungewöhnlich fand, die aufgrund ihrer Alltäglichkeit schon fast vorzeitig beendet hätte, bietet diese Erzählung mir rückblickend einige Aspekte, die bei der ersten Betrachtung unscheinbar wirkten.
Fehlt diesem Roman die Tiefe, die in der Alltäglichkeit der Geschichte verloren geht? Nein, denn es ist gerade die Alltäglichkeit, die die Herausforderungen in Dolphs Alltag herausarbeitet und sie schließlich ungeschönt aber doch mit einer ordentlichen Portion aber doch mit einer ordentlichen Portion Humor präsentiert.
Auch die Tatsache, dass dieser sehr feinfühlige Roman aus der Ich-Perspektive der Protagonistin geschrieben wurde, macht diesen Roman zu einem Erlebnis, denn Deutschland erst mit der Zeit, dass die Bewohner ihres neuen Wohnortes die eigentlich gar nichts Böses wollen, sondern ihre Art des Lebens einfach nur nicht in ihre Vorstellung hineinpasst.
Aus keine andere Perspektive hätte man diese Umstände aber derartig gut herausarbeiten können, wie es durch die Ich-Perspektive gelang. Denn aus dieser Perspektive heraus erleben wir es genau so, es wäre mir selbst nach Velling gekommen, um dort sesshaft zu werden und unser Leben als Familie kennen zu lernen.
Die Tatsache, dass wir den übrigen Figuren nicht in den Kopf schauen können, habe ich anfangs als etwas langweilig und zögernd, Dir vielleicht so als schleppend erlebt. Letztendlich ist aber genau diese Perspektive die das Buch authentisch, glaubwürdig und herzlich erscheinen lässt. Dabei verliert es keine Emotion, sondern gewinnt an Tiefe und Gesellschaftskritik.
„Meter pro Sekunde“ von Stine Pilgaard: Ein Hörbuch, gelesen von Caroline Peters
Als ich entdeckte, dass Caroline Peters das Hörbuch zu „Meter pro Sekunde“ von Stine Pilgaard eingelesen hat, wusste ich, dass ich dieses Hörbuch unbedingt hören wollte, den Roman aber nicht unbedingt lesen.
Tatsächlich glaube ich jetzt, da ich die Geschichte kenne, genau die richtige Wahl getroffen zu haben, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich den Roman in Buchform nicht irgendwann beiseite gelegt hätte. Möglicherweise wäre mir die Alltäglichkeit im Verlauf der Geschichte immer stärker nachteilig aufgefallen.
Die Tatsache, dass Caroline Peters aber in die Rolle der Ich-Erzählerin schlüpfte, ließ mich noch ein wenig tiefer in die Geschichte einsteigen. Für mich fühlte sich das Hören der Geschichte so an, als wäre Caroline Peters Dolph, die mir rückblickend ihre Geschichte erzählte.
„Caroline Peters ist eine passionierte Leserin und Vorleserin. Als Schauspielerin ist sie auf den wichtigen Theaterbühnen wie auf der großen Leinwand zu sehen, sie wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Grimme-Preis, und zweimal als Schauspielerin des Jahres geehrt. Einem breiten Publikum ist sie durch die TV-Serie Mord mit Aussicht bekannt.“ (Kanon Verlag)
Über die Autorin Stine Pilgaard
„Stine Pilgaard wurde 1984 geboren. Bereits ihr erster Roman Meine Mutter sagt (erscheint 2023 bei Kanon) war ein Erfolg bei Publikum und Kritik. Mit Meter pro Sekunde, für das sie den Goldenen Lorbeer der dänischen Buchhändler erhielt, erscheint erstmals eines ihrer Bücher auf Deutsch. Stine Pilgaard lebt in Kopenhagen.“ (Kanon Verlag)
„Meter pro Sekunde“ von Stine Pilgaard
„Meter pro Sekunde“ von Stine Pilgaard ist ein ungewöhnlicher Roman, weil er aus dem Alltag einer jungen Mutter in einem kleine Ort in Westjütland erzählt.
Die hohe Intensität, mit der dieser Roman erzählt wird ist aber auch gleichzeitig der Grund, warum dieser Roman wohl kaum für jeden gleichermaßen geeignet, man muss sich mit den einzelnen Figuren oder konkret mit Dolph identifizieren können.
Letztlich ist es nämlich Dolph, deren Geschichte hier zur Grundlage genommen wird, um die Beziehung zwischen den einzelnen Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohnern aufzuzeigen. Genau das ist auch, was den Roman bei aller Alltäglichkeit immer wieder spannend erscheinen lässt, das Beziehungsgeflecht, das sich so nur in einer kleinen Dorfgemeinschaft zeigt, in der jeder jeden zu kennen glaubt.
Handelt es sich bei solchen Geschichten aktuell um einen Trend? Nun, ich bin kurz davor, genau diesen Trend anzunehmen, denn meiner Meinung nach zeigt sich das Leben in einer dorfähnlichen Gemeinschaft heute auch in vielen Fernsehserien, wo das Kleinstadt-Leben aus vielerlei Perspektiven betrachtet wird. Heißt dies aber nun, dass man „Meter pro Sekunde“ gut verfilmen kann?
In diesem Punkt bin ich mir nicht sicher, denn der Aspekt der Entschleunigung ging in seiner Verfilmung wohl verloren. Als Hörbuch oder als Roman wird er jedoch gekonnt in Szene gesetzt. All das hinterlässt einen starken Eindruck von einem aus dem Alltag gegriffenen Roman.
Meter pro Sekunde
"Meter pro Sekunde" von Stine Pilgaard ist ein ungewöhnlicher Roman über das Suchen und Finden von Heimat. Gleichzeitig geht es aber auch um Freundschaft, die Wahrnehmung der Mutterrolle und den Alltag in der Fremde.
URL: https://kanon-verlag.de/buecher/meter-pro-sekunde/
Autor: Stine Pilgaard
Autor: Stine Pilgaard
ISBN: 978-3-98568-011-5
Veröffentlichungsdatum: 2022-02-16
Format: https://schema.org/Hardcover
Autor: Stine Pilgaard; Caroline Peters
ISBN: 978-3-98568-014-6
Veröffentlichungsdatum: 2022-02-16
Format: https://schema.org/AudioBook
4.3