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“Angela Merkel: Die Kanzlerin und ihre Zeit” von Ralph Bollmann

“Angela Merkel: Die Kanzlerin und ihre Zeit” von Ralph Bollmann
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“Angela Merkel: Die Kanzlerin und ihre Zeit” von Ralph Bollmann“Angela Merkel: Die Kanzlerin und ihre Zeit” von Ralph Bollmann ist mit insgesamt etwas über 700 Seiten eine äußerst umfangreiche Biografie, die nicht nur Merkels Karriere als Kanzlerin thematisiert, sondern praktisch rekonstruiert, wie sie zu der Frau wurde, die sie heute ist.

Ralph Bollmann, der Angela Merkels Weg in diesem Buch rekonstruiert, hat sich dabei von ihrer Kindheit in der DDR bis zum Ende ihrer Kanzlerzeit bewegt. Er legt seinen Fokus dabei nicht etwa darauf, ihre politische Arbeit zu bewerten, sondern ordnet vielmehr ihr Handeln ein.

Lese ich normalerweise eher selten Biografien, erschien mir die Biografie über diese scheinbar kontroverse und doch gefestigte Politikerin überaus interessant. Ich selbst habe ihre Biografie nicht aus einem politischen Interesse heraus gelesen, sondern wollte mehr über ihren Werdegang erfahren.

“Angela Merkel: Die Kanzlerin und ihre Zeit” von Ralph Bollmann: aufgewachsen in der DDR

Bereits bevor ich damit begonnen hatte, diese Biografie zu lesen, war mir bewusst, dass Merkels Weg kein leichter sein konnte, dass sie aber gleich in dreifacher Hinsicht eine Randgruppe angehört, wurde mir erst bewusst, als ich den Hinweis darauf las.

Als Politikerin ist sie zunächst eine Frau, außerdem ist sie in der ehemaligen DDR aufgewachsen und eine Naturwissenschaftlerin unter Juristen. Strategien, um mit diesen drei Besonderheiten umzugehen, hatte sie ausgerechnet schon in ihrer Kindheit gelernt, denn auch in der DDR, wo sie aufgewachsen ist, gehörte sie als Tochter eines Pfarrers und einer Lehrerin, die beide nicht der SED angehörten, natürlich zu einer Randgruppe.

Freie Meinungsäußerung war damals ebenfalls ein gewagtes Unterfangen. Eine große Karriere erreichte man nur, wenn man nicht oder sogar positiv auffiel.

“Angela Merkel: Die Kanzlerin und ihre Zeit” von Ralph Bollmann: Reisen mit Regeln

Auch wenn es für die damalige Zeit sehr ungewöhnlich war und durch die DDR auf vielen Einschränkungen unterlag, ist Angela Kasner spätere Merkel in den früheren Ostblockstaaten viel herumgereist.

Der Westen blieb ihr für ihre Reisen verschlossen, doch der Osten stand ihr gefühlt offen. Auf diese Weise vertiefte sie nicht nur ihrer Kenntnisse in der russischen Sprache, die sie bereits in der Schule lernte und perfektionierte, sondern lernte früh über den Tellerrand zu blicken.

Möglicherweise ist dieser Aspekt auch ursächlich dafür, dass sie als Vermittler zwischen Staaten auftreten kann. Durch die Tatsache, dass sie die einzelnen Kulturen und ihre Bewohner nicht nur als Touristin kennengelernt hat, sondern häufig auch indem sie Freundschaften pflegte, machte sie zu einem Ass in Sachen Diplomatie.

Sie liebt und lebt den Umgang mit Menschen, ist dabei aber stets eine ausgewogene Mischung aus offen und zurückhaltend. Sie weiß genau, wann sie etwas besser verschweigt, es möglicherweise mehrdeutig formuliert oder Dinge verharmlost, aber ebenso weiß sie auch, wann es Zeit ist, eine Entscheidung zu treffen und diese auch durchzuhalten.

Angela Merkel ist eine Frau, die gelernt hat, dass es besser ist, alles zunächst zu durchdenken.

“Angela Merkel: Die Kanzlerin und ihre Zeit” von Ralph Bollmann: Die Zeit der Wende

Die Zeit des Mauerfalls und der Wende waren für die spätere Kanzlerin sicher eine spannende, aber auch bewegte Zeit. In dieser galt es nämlich, sich politisch erst einmal zu orientieren. Welche politische Richtung sie einschlagen würde, war für die junge Physikerin aus dem Osten keine allzu leichte Entscheidung, sie wusste lediglich, was sie nicht wollte.

Da sich allerdings etliche ihrer Weggefährten ähnlich orientieren mussten, nutzte sie die Gelegenheit, einfach einmal in unterschiedliche Richtungen hinein zu schnuppern. Auch nahm sie erste Positionen an. Allerdings ist auffällig, dass sie sich zunächst nicht festlegte, sondern es ihr anstelle der politischen Ausrichtung eher um die Sache ging. Sie wollte Antworten und Lösungen, keine Probleme.

Was ein wenig merkwürdig klingt, ist tatsächlich auch heute noch eines ihrer Markenzeichen. Die Kanzlerin gilt heute als diskussionsfreudig, aber immer auch und vor Allem an der Sache interessiert. Sie gilt als neugierig, kritisch, wissbegierig und wissenschaftlich.

Nebenbei lernte sie in der Zeit der Wende auch, sich als Frau in einer weiteren Männerdomäne zu behaupten. Kannte sie dies zwar bereits aus der Physik, war es in der Politik doch ein wenig anders. Die Diskussionen in der Politik erschienen als emotionaler und weniger wissenschaftlich.

Hier ging es meist darum, Interessen abzuwägen und Emotionen gegeneinander zu stellen. Allerdings galt auch hier all jenes, was Merkel schon in der DDR gelernt hatte. Sie hielt die Balance zwischen sachlich und nüchtern, fast schon emotionslos und der Kontaktpflege. Machte sie das zu einer besonders diplomatischen Person?

Nun, vielleicht, vor allem aber schlüpfte die einstige Physikerin in ganz neue Rollen, sammelte Erfahrung in ganz unterschiedlichen Positionen und galt als Arbeitstier.

Die vielen Erfahrungen, die sie in dieser Zeit sammelte, sollten ihr auch später immer wieder helfen. In Verbindung mit dem, was in der DDR kennengelernt hatte, wurde Merkel nun zu einer sehr vielschichtigen und vielseitigen Politikerin und Person des öffentlichen Lebens, die sich schon bald mit den neuen politischen Gegebenheiten arrangierte.

Ja, tatsächlich könnte man hier spekulieren, dass sie, die als wirtschaftsliberal galt und für die freie Marktwirtschaft eintrat, es genau darauf angelegt hatte. Obwohl in der DDR politisch inaktiv, setzte sie im vereinten Deutschland fiel darauf, dass der Staat weniger eingriff. Ist auch dies in ihrer Geschichte begründet?

Die Jahre 2008-2021: Europas mächtigste Frau?

Hatte sich Merkel bis ins Jahr 2005 entwickelt, galt sie spätestens im Jahr 2008, bei ihrer ersten Wiederwahl als Weltpolitikerin und man wusste auch, was man von ihr erwarten konnte. Angela Merkel strahlte stets eine Ruhe und Konstanz aus.

Dass sie auch Krise konnte, zeigte sich in den Jahren 2008 bis 2021 mit einer gewissen Regelmäßigkeit.

Aus Kohls Mädchen ist längst eine starke Frau geworden, die ihre Position im Leben und in der Welt gefunden hat, an der Spitze der deutschen Regierung.

In den 16 Jahren, die Merkels Kanzlerschaft andauerte, sorgte die Stabilität und die Ruhe, mit der Merkel auch in der Krise punktete, dafür, dass die Bürger stets ein gewisses Vertrauen in ihre Regierung besitzen.

Krisen wie die Finanz- und Wirtschaftskrise, Auseinandersetzungen der Ukrainer, die Flüchtlingskrise und zuletzt auch die Corona-Krise erschütterten das Vertrauen in Angela Merkel stets nur kurz.

Mit ihrer Art Probleme aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, übertrug sie ein wissenschaftliches Vorgehen in die Politik, wirkte dabei jedoch stets reserviert. Ihre Entscheidungen in der Flüchtlingskrise waren deshalb für viele durchaus überraschend, denn hier wurde Angela Merkel von einem anderen Aspekt angetrieben, Emotionen und Empathie.

Die Art, wie Ralph Bollmann Angela Merkel darstellt

Normalerweise schreibe ich an dieser Stelle zunächst ein Wort über die Stilistik des Autors, doch Ralph Bollmann ist für mich weniger ein Autor, der eine fiktive Handlung präsentiert, als vielmehr ein Biograf, der eine Person in ihrer komplexen Vielschichtigkeit darstellt.

Deshalb möchte ich an dieser Stelle weniger über den Stil sprechen, in dem er seine Worte gewählt hat, sondern vielmehr darüber, dass er alle Inhalte faktisch belegt. Tatsächlich entsteht so eine Biografie, die viele Fußnoten besitzt und trotzdem eine reflektierte Form des Lebens einer Person darsttellt.

Persönlich habe ich mir vor vielen Jahren einmal vorgenommen, nie das Leben einer Person zu bewerten. Macht mich dies zu einem schlechteren Rezensenten? Nun, ich finde nicht, schließlich soll ich hier keine Wertung über die Kanzlerin und ihren Lebensweg abgeben, sondern viel eher die Biografie vorstellen, die ein Biograf über die bald aus dem Amt scheidende Kanzlerin verfasst hat.

Dies ist problemlos möglich, denn als Biograf ist es dem Autor gelungen, das Leben der heutigen Kanzlerin darzustellen und bestimmte Aspekte ihrer Biografie zu betonen, ohne ihre Handlungen in der jeweiligen Zeit zu bewerten.

Etwas ganz ähnliches hat beispielsweise auch schon Ben Rhodes in seinem Buch “Im Weißen Haus – die Jahre mit Barack Obama”gemacht. Auch er wertete, indem er spezifische Aspekte der Biografie betonte. Bereits der Titel macht allerdings deutlich, dass diese biografische Darstellung nicht nur zeitlich begrenzter ist, sondern ebenso wertfrei bleiben sollte.

Ralph Bollmann hatte hier eine andere Aufgabe, denn in seinem Buch über Angela Merkel gibt es keine zeitliche Begrenzung, sieht man mal davon ab, dass die mir vorliegende Biografie von ihrer Geburt bis in die heutige Zeit reicht und entsprechend umfangreich ist.

Mit etwas über 700 Seiten erschien mir persönlich “Angela Merkel: Die Kanzlerin und ihre Zeit“ sehr detailliert. Die Wertfreiheit dieser Biografie macht es mir als Leser aber möglich, diese Biografie nicht in ihrer Nüchternheit zu erleben, sondern mich zu fragen, wie bestimmte Handlungen den Lauf der Geschichte beeinflusst haben könnten.

Somit werde ich als Leser selbst zum Nachdenken angeregt, allerdings gleichzeitig davon abgehalten, eigenständige Wertungen vorzunehmen.

Über den Biografen Ralph Bollmann

“Ralph Bollmann ist Historiker, Journalist und wirtschaftspolitischer Korrespondent der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung”. Er hat bereits 2013 ein Buch über Angela Merkel und die Deutschen geschrieben und für diese Biografie u.a. zahlreiche Gespräche mit Zeitgenossen und Weggefährten von Angela Merkel geführt.” (C. H. Beck)

Fazit zu “Angela Merkel: Die Kanzlerin und ihre Zeit” von Ralph Bollmann

“Angela Merkel: Die Kanzlerin und ihre Zeit” von Ralph Bollmann ist eine Biografie, die nicht nur die Jahre von Merkels Kanzlerschaft betrachtet, sondern bereits mit ihrer Geburt in Hamburg und ihrer Kindheit in der DDR beginnt. Dieser Umstand macht das Lesen dieser Biografie für mich besonders interessant.

Schließlich sind die Handlungen und Entscheidungen sicher durch Werte geprägt, die die spätere Kanzlerin bereits in ihrer Kindheit gelernt hatte. Wer also Angela Merkel verstehen möchte, sollte sich mit ihren Hintergründen im familiären, wie auch im beruflichen Umfeld beschäftigen.

Auf diese Weise könnte man auch überraschende Wendungen in ihrer Regierungszeit möglicherweise besser einschätzen und verstehen. Tatsächlich galt Merkel stets als Krisenkanzlerin, die erst in eine Krisenzeit ihr ganzes Potenzial zeigte. Dass sie bei jeder Krise nach ihrer ersten Regierungs- oder Amtszeit häufiger und  stärker von Krisen getroffen wurde, ist dabei nicht ihren Handeln zuzuschreiben, sondern dem, was in der Welt geschah.

Als Wissenschaftlerin ist Angela Merkel aber ausreichend diszipliniert, durchsetzungsstark, orientiert und fokussiert, um aus so mancher Krise tatsächlich erfolgreicher wieder herauszukommen.

Die letzte Krise, die wir als Kanzlerin erlebt, dürfte nun die Corona-Pandemie gewesen sein oder möglicherweise auch die Flut-Katastrophe, die in vielen Regionen für Existenzängste sorgte. Tatsächlich glaube ich aber, dass man eher die Pandemie als eine Krise bezeichnet, einfach, weil sie länger andauert.

Die Wiederaufbauarbeiten in den Flutgebieten wie auch die Folgen der Pandemie dürften eher ihren Nachfolger oder ihre Nachfolgerin längerfristig beschäftigen. Eines jedoch dürfte schon jetzt deutlich werden, Merkels Nachfolger oder Nachfolgerin tritt in große Fußstapfen, bei denen es schwierig wird, sie auszufüllen.

Auch die Größe der Fußstapfen lässt sich wohl durch Merkels Biografie erklären. Schließlich bekam sie schon von ihrem Vater in jungen Jahren beigebracht, dass sie stets die Beste sein müsste, wenn sie in der DDR politisch unabhängig bleiben wollte.

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