Von Tracy Chevalier und ihren Büchern hatte ich bereits eine Menge Gutes gehört, als ich im vergangenen Jahr „Der Ruf der Bäume“ als E-Book erhielt. Ich habe es dann auch recht schnell zu lesen begonnen, um es nach nur 32 Seiten abzubrechen und mich zu fragen: „Warum geht es eigentlich die ganze Zeit um Apfelbäume?“
Was hatte ich eigentlich erwartet?
Nun, eher hatte ich ein Familiendrama erwartet, bei dem Bäume (von mir aus auch Apfelbäume) eine wichtige, aber untergeordnete Rolle spielten. Ich erhielt jedoch recht schnell den Eindruck, dass es bei diesem Buch nicht nur untergeordnet um Bäume ging. Kurz gesagt, legte ich das Buch erst einmal zu Seite, ließ es aber meinem E-Book-Reader. Ich bin heute froh, dass ich es als E-Book erhalten habe, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich es noch einmal zur Hand genommen hätte, wenn es ein Buch gewesen wäre.
„Der Ruf der Bäume“: ein neuer Versuch
Tatsächlich gab ich diesem Buch aber noch einmal zum Jahresende 2017 eine Chance. Nun erwartete ich etwas mit Bäumen. Ja, ich erwartete sogar, dass diese Bäume viel Raum einnahmen.
Aus diesem Grund kam ich dieses Mal viel besser in das Buch hinein. Dennoch muss ich sagen, dass dieses Buch zu jenen Büchern gehört, für die man sich einige Zeit einplanen sollte. Es ist kein Roman, der dahin plätschert, den man mal eben nebenbei liest. Nein, trotz aller Bäume gibt es auch das angesprochene Familiendrama. Wer also auf der Suche nach seinem Buch mit Tiefgang ist, sich vor Familienkonflikten und -problemen nicht scheut, der kommt mit diesem Buch sicherlich zu Recht. Ich jedoch erwartete auch bei diesem Versuch etwas anderes.
Eine sozialkritische Familiengeschichte
Tatsächlich handelt es sich bei „Der Ruf der Bäume“ weit weniger um ein Familiendrama, obwohl es sicherlich sehr traurig ist, als um ein historisches Buch, das auf den Anfängen der Siedlerzeit basiert. Er spielt etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts in einem Land, dass sich heute als USA bezeichnet. Doch die USA, so wie wir sie kennen, ist heute ganz anders als zu jener Zeit. Damals war das Hinterland noch weitestgehend unbewohnbar. Das Hinterland fernab der Küste galt damals noch als Sumpfland und es war sicherlich nicht leicht, auf diesem Boden zu leben. Dennoch muss ich sagen, dass Tracy Chevalier sich genau die richtige Zeit für ein Buch dieser Art ausgesucht hat, denn letztendlich ging es hier vor allem darum, Hand in Hand zu arbeiten. Nur gemeinsam war es möglich, dieses Land zu kultivieren, es bewohnbar und zu dem zu machen, was es später einmal werden würde.
Wer sich mit der amerikanischen Geschichte einmal näher beschäftigt hat, der weiß, dass das Land zunächst von der Ostküste aus besiedelt wurde, sich dann jedoch immer weiter ins Hinterland entwickelte. Diese Entwicklung war im 19. Jahrhundert in vollem Gange und genau hiermit beschäftigt sich indirekt auch die Geschichte. Denn wann immer der Platz für die Siedler zu klein wurde, zogen sie weiter um sich irgendwo anders mit ihren Familien niederzulassen und ein Land zu bestellen. Es war sicherlich kein einfaches Leben, an denen sicherlich viele Familien zerbrochen sind und dennoch, gab es auch viele positive Aspekte und Geschichten.
Tracy Chevalier hat sich jedoch bewusst dafür entschieden, eher eine Familiengeschichte darzustellen, die nicht ganz so positiv verlief. Eine Familie die an der Besiedlung ihres Landes, an der Bestellung ihres Ackerlandes und an der Bewirtschaftung zerbrach. Ja, so oder so ähnlich ließe sich wohl die Geschichte der Familie Goodenough zusammenfassen und doch gibt es auch in dieser Familie klassische Probleme. Es gibt die typischen Konflikte, an denen auch heute noch Familien zerbrechen.
Am Sumpffieber sind bereits viele Mitglieder der Familie verstorben. Hierin findet sich die Ursache für viele spätere Probleme, die letztendlich zum Scheitern der ersten Apfelplantage der Familie Goodenough führen.
In Verbindung mit all diesen Hintergründen ließe sich dieser Roman – und ja, es ist ein Roman – durchaus auch als soziologische Darstellung oder als Sachbuch nutzen. Dieser Roman ist nämlich so sehr mit Hintergründen gespickt, dass das Lesen trotz eines flüssigen Schreibstils mehr Zeit in Anspruch nimmt, als die 320 Seiten zunächst vermuten ließen. Dieser Roman ist eine Hommage an den Obstanbau und gleichzeitig eine Kritik am gesellschaftlichen und familiären miteinander.
Über die Autorin
»Tracy Chevalier, 1962 in Washington, D. C. geboren, zog 1984 nach England. Sie arbeitete zunächst als Lektorin, begann dann aber zu schreiben. Der internationale Durchbruch gelang ihr mit „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in London.« (Quelle: Randomhouse)
Für wen dieser Roman etwas ist
Als ich mit diesem Roman anfing, war ich in der festen Annahme, dass es sich hierbei um einen Frauenroman handelt, da mir ein solcher angekündigt wurde. Meiner Meinung nach ist die Zielgruppe dieses Buches jedoch nicht ausschließlich weiblich. Meiner Meinung nach haben auch Leser durchaus ihren Spaß an diesem Buch.
Eine Voraussetzung jedoch sollten sie mitbringen, oder nein, eigentlich eher zwei. Zum Einen sollten sie Interesse an der USA haben und zum Anderen an den historischen Elementen dieses Landes. Darüber hinaus sollten sie ein gewisses Interesse, wenn nicht sogar eine Begeisterung für Obstanbau mitbringen, denn der Anbau von Äpfeln nimmt einen großen Rahmen in Anspruch.
Der Versuch eines Fazits
An dieser Stelle möchte ich mich an einem Fazit versuchen, wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob mir dieses in der Form gelingen kann, wie ihr es gewohnt seid. An dieser Stelle fasse ich normalerweise in zwei Sätzen zusammen, ob ich das Buch nun gut oder schlecht fand.
Mir persönlich gefiel der Tiefgang des Buches, der flüssige Schreibstil und ja auch Teil der Handlung ausgesprochen gut, gleichzeitig jedoch hatte dieses Buch aufgrund genannter Faktoren auch ein paar Schwierigkeiten. Gerade am Anfang muss man sich sicher die Zeit nehmen, sich in dieses Buch hinein zu fühlen, hinein zu denken und sich nicht über die Protagonisten aufregen. Man muss versuchen, sich in diese hinein zu füllen und mit ihnen gemeinsam die Geschichte zu erleben. Das fiel mir in Anbetracht der Tatsache, dass das Buch in unterschiedlichen Perspektiven geschrieben ist, mal schwerer und mal leichter. Faktisch jedoch ist es so, dass man dieses Buch nur lesen sollte, wenn man ausreichend Zeit hat und es nicht darum geht sich treiben zu lassen.