Nahezu jeder kennt die Weihnachtsgeschichte. In seiner Anthologie “Wie Jesus das Lübecker Marzipan erfand” zeigt der Journalist und Medienkritiker Lorenz Meyer, dass man die Geschichte um Jesus Geburt ganz unterschiedlich erzählen kann.
Hier erzählt er nicht nur, wie Jesus das Lübecker Marzipan erfand (frei nach Thomas Mann), wie Marie Kondo Maria und Josef beim Aufräumen half, sondern 24 grundverschiedene Versionen der Weihnachtsgeschichte, die ganz unterschiedliche Interpretationen bieten und mich als Leserin gut unterhalten.
Die Autoren und Autorinnen, die Lorenz Meyer in der Anthologie “Wie Jesus das Lübecker Marzipan erfand” versammelt hat, stammen aus ganz unterschiedlichen erzählerischen Traditionen. Als Leserin, die die meisten der präsentierten Erzählstimmen kennt, konnte ich die Imitation deutlich wahrnehmen und die so typischen stilistischen Merkmale besagter Autoren wieder erleben. Auf diese Weise entsteht eine kontrastreiche Auseinandersetzung mit Literatur, bei der das Spektrum von lakonisch-humorvoll über mysteriös bis philosophisch reicht.
“Wie Jesus das Lübecker Marzipan erfand” von Lorenz Meyer: Von klassisch bis modern, aber nicht traditionell
Hatte mich der Titel des Buches bereits neugierig gemacht, erfreute ich mich im Anschluss an den hier versammelten Geschichtenspendern die Lorenz Meyer als Autor imitieren würde. Von Thomas Mann, Agatha Christie, Jules Verne über Wilhelm Busch, Astrid Lindgren und Franz Kafka bis Rosamunde Pilcher, Marie Kondo und Sophie Kinsella stellte der Autor hier viele seiner Kollegen hier eindrucksvoll vor.
Diese Liste ließe sich noch mit weiteren Namen ergänzen, wie zum Beispiel Paulo Coelho oder Simone de Beauvoir und wäre letztlich immer noch nicht vollständig. Schließlich gibt es ja insgesamt 24 Geschichte und somit auch 24 Vorlagengeber, die ich als Leserin vorgestellt bekomme, sofern ich sie noch nicht kenne.
Auf diese Weise spricht er ganz unterschiedliche Leser an und ich würde behaupten, dass hier jeder seine liebste Interpretation der Weihnachtsgeschichte findet. Nur eine ist nicht dabei, die originale biblische Weihnachtsgeschichte.
Als Leserin fragte ich mich gleich zu Beginn, wie die Weihnachtsgeschichte wohl in den unterschiedlichen Varianten aussieht. Nun, nach dem ich diese Kurzgeschichten gelesen habe, darf ich sagen, dass der Autor, der hier die unterschiedlichsten Autoren imitierte, mich stets gut unterhielt und mir einen wahrlich bunten Straus an Möglichkeiten anbietet, wie man die Weihnachtsgeschichte erzählen könnte.
So wandelt sich im Verlauf der Anthologie “Wie Jesus das Lübecker Marzipan erfand” nicht nur der Stil, sondern auch die Textform oder die Handlung selbst. Teils verändern sich nur kleine Details, die manch einem möglicherweise unbedeutend erscheinen mögen, aber letztlich kann ein einzelnes Detail die Geschichte grundsätzlich verändern.
“Wie Jesus das Lübecker Marzipan erfand” von Lorenz Meyer: Alles eine Frage des Stils?
Ist bei dieser Auswahl von guten guten Kurzgeschichten alles lediglich eine Frage des Stils? Nun, es fällt mir alles andere als leicht, diese Frage mit einem eindeutigen Ja oder einem nicht minder eindrücklichen Nein zu beantworten.
Ich glaube vielmehr, dass die Antwort irgendwo in der Mitte zu finden ist. Natürlich können stilistische Varianten eine Geschichte in ihrer Darstellung verwandeln. Woher käme aber bei einer reinen stilistischen Varianz der veränderte Ablauf der Handlung zustande?
Der Ort und die Zeit, in dem sich das Ereignis zuträgt, verändern sich in manch einer Kurzgeschichte und damit natürlich auch die Perspektive, die Herausforderungen oder die Handlung als solche. Tatsächlich bezieht sich der Aspekt der Perspektive aber auch auf die Lebenserfahrung des jeweils angenommenen Autors oder der Autorin.
Möglicherweise ist das der Grund, warum die einzelnen Darstellungen der Geschichte um Jesu Geburt auch in der 24. Version nicht langweilig wird. Vielmehr lädt jede einzelne Geschichte mich als Leserin zu einem Diskurs einlädt, der weit über die Frage “Gefällt mir die Geschichte gut oder eher nicht so gut?” hinaus geht.
Gleichzeitig macht es mir diese Vielfalt an Einflussfaktoren aber auch schwer jede einzelne Version der Weihnachtsgeschichte, die Lorenz Meyer in diesem Buch erzählt, vorzustellen. Würde ich das machen und möglicherweise auch noch im Detail. Dann ginge euch die Möglichkeit, die Geschichten selbst zu erkunden, mehr und mehr verloren.
Bedeutet das aber, dass es zu den ebenso kurzen, wie kurzweiligen Geschichten nichts mehr zu sagen gibt? Das würde ich so nicht sagen, denn neben den zahlreichen erwähnten Kurzgeschichten, kommen auch einige Dichter zu Wort und auch diese lohnen sich durchaus.
Was gibt dem Autor das Recht, andere Autoren zu imitieren?
War das nun das letzte Wort zu diesem Buch? Nein, denn während des Lesens dieser Kurzgeschichten kam mir eine weitere Frage in den Sinn. Warum imitiert Lorenz Meyer in “Wie Jesus das Lübecker Marzipan erfand” andere Autoren statt in seinem eigenen Stil einige unterhaltsame Geschichten zu erzählen?
An dieser Stelle könnte ich nun spekulieren, aber eigentlich ist das unnötig. Schließlich ist Lorenz Meyer ein Freund gutgemachter Satire und als Medienkritiker prädestiniert, sich mit ganz unterschiedlichen Romanciers und Lyrikern auseinander zu setzen.
Seine Wahl fiel dabei auf 24 Autoren und Autorinnen, die wohl jeder Leser oder jede Leserin zumindest dem Namen nach kennt oder manchmal auch eher dem Werke nach. Was also ist der Anlass dieser Imitation?
Ich könnte nun behaupten, dass dieses Buch nur aufgrund der Vorliebe des Autors entstanden ist, aber ich kenne mich ein wenig mit Satire und Imitation aus und weiß, dass es sich dabei oft um eine Hommage an die imitierten Personen handelt. Obwohl es sich um eine überaus bunte illustre Auswahl handelt, sind die gewählten Autoren und Autorinnen keine Unbekannten, sondern bei vielen Leserinnen und Lesern mindestens genauso beliebt wie bei mir.
Über den Autor Lorenz Meyer
“Lorenz Meyer ist Journalist und Medienkritiker (u.a. BILD-Blog) mit einem Herz für Satire. Er hat das Bullshit-Bingo bekannt gemacht (u.a. für den Spiegel) und bei der FAZ „Meyers Berufs-Phrasomat“ bespielt. Außerdem versorgt er namhafte Comedians mit Inhalten für ihre Bühnenprogramme und arbeitete unter anderem für Kurt Krömer, Jan Böhmermann und Extra3.” (Rowohlt)
Fazit zu “Wie Jesus das Lübecker Marzipan erfand” von Lorenz Meyer
Wenn ihr mich fragt, ob ich euch diese Anthologie empfehlen kann, dann müsste ich euch sagen, dass ich euch dieses Buch durchaus empfehlen kann. Ja, der Autor spielt mit zahlreichen satirischen Elementen und spitzt die Imitation deutlich zu, dass ich bei der einen oder anderen Geschichte das Gefühl hatte, mir würde das Lachen im Halse stecken bleiben.
Dieser Umstand macht “Wie Jesus das Lübecker Marzipan erfand” von Lorenz Meyer aber keinesfalls weniger lesenswert, sondern erweitert das Leseerlebnis um eine Gefühlsachterbahn. Das heißt, dass ich euch dieses Buch also tatsächlich empfehlen kann.
Wie Jesus das Lübecker Marzipan erfand
Nahezu jeder kennt die Weihnachtsgeschichte. In seiner Anthologie "Wie Jesus das Lübecker Marzipan erfand" zeigt der Journalist und Medienkritiker Lorenz Meyer, dass man die Geschichte um Jesus Geburt ganz unterschiedlich erzählen kann.
URL: https://www.rowohlt.de/buch/lorenz-meyer-wie-jesus-das-luebecker-marzipan-erfand-9783499015434
Autor: Lorenz Mayer
Autor: Lorenz Meyer
ISBN: 978-3-499-01543-4
Veröffentlichungsdatum: 2024-09-17
Format: https://schema.org/Paperback
4.4
Vorteile
- Hoher Unterhaltungswert
- Große stilistische Vielfalt
- Kreative, überraschende Neudeutungen der Weihnachtsgeschichte
- Starke satirische Komponenten
- Gelungene Imitationen bekannter Stimmen
- Kontrastreiche Begegnung verschiedener Erzähltraditionen
- Leichte Zugänglichkeit durch kurzweilige Formate
- Viele Wiedererkennungs-Momente für Literaturkenner:innen
- Ideales Geschenk / Gesprächsanlass
- Kurze Texte → gut für zwischendurch
- Mut zur Provokation und Grenzüberschreitung
- Literarische Hommage an zahlreiche Autor:innen
- Spiel mit Form und Textgattung
- Emotionales Spektrum: Humor bis Melancholie
- Regt zur Reflexion über Stil vs. Inhalt an
Nachteile
- Originale biblische Weihnachtsgeschichte fehlt
- Imitationen können als Nachahmung statt Originalität gelesen werden
- Teils überzeichnete Satire → bei einigen Lesern befremdlich
- Qualität der Imitationen möglicherweise variierend
- Humor trifft nicht jeden Geschmack
- Gefahr von Stil- statt Inhaltsfokus
- Manche Details verändern Handlung zu stark für Purist:innen
- Erwartungshaltung bei bekannten Vorlagen könnte enttäuschen
- Fehlende Tiefe in Kurzform bei manchen Erzählungen
- Risiko, dass Namen wichtiger als Geschichten wirken
- Potenziell repetitive Struktur über 24 Variationen
- Religiöse Leser:innen könnten Anstoß nehmen
- Kontextwissen erleichtert Genuss — ohne Kenntnisse weniger zugänglich
- Keine durchgehende narrative Kohärenz
- Einzelne Imitationen könnten rechtliche/ethische Debatten auslösen
