„Junge mit schwarzem Hahn“ von Stefanie vor Schulte ist eine der ungewöhnlichsten Geschichte dieses Jahres und mit Sicherheit eine Geschichte, die berühren kann. Gleichzeitig ist es eine Geschichte, zu der ich mir den Zugang ein wenig erarbeiten musste. Denn eines war diese Geschichte nicht, einfach.
„Junge mit schwarzem Hahn“ von Stefanie vor Schulte: Eine Geschichte über das Fortgehen und Ankommen
Zu behaupten, „Junge mit schwarzem Hahn“ von Stefanie vor Schulte wäre eine Erzählung über das Fortgehen und das Ankommen, wäre vermutlich erheblich zu kurz gegriffen. Denn tatsächlich handelt diese Geschichte von mehr als Aufbruch und Rückkehr.
Es geht um Trauer, Wachstum, Liebe, Hass und Betrug und, obwohl es um die großen Gefühle geht, ist es keine Geschichte, wie jede andere.
Es ist die Geschichte eines elfjährigen Jungen, der Martin heißt, und seine Familie einst gewaltsam verlor. Das einzige, was ihm blieb, ist die Garderobe, die er trägt, und ein schwarzer Hahn, der ihm Freund und Beschützer in einem ist.
Seit dem Tod seiner Familie haben die anderen Bewohner seines Heimatorts Angst vor Martin, beziehungsweise, vor dem Jungen, der so ganz anders ist, als sie selbst. Er ist freundlich zu allen, herzlich gar, und klug.
Die Menschen in seinem Dorf betrachten ihn als Bedrohung. Und so nutzt Martin eine sich bietende Gelegenheit und verlässt an der Seite eines reisenden Malers den Ort. Er bricht in eine ihm unbekannte Welt auf, die jedoch zahlreiche Gefahren birgt.
„Junge mit schwarzem Hahn“ von Stefanie vor Schulte: mehr als nur schwarz-weiß?
Bereits beim ersten Hören der Geschichte fällt auf, dass es in dieser Geschichte vergleichsweise wenige Figuren gibt, die man nicht eindeutig in gut oder böse unterteilen kann. Viel eher scheint es so als hätte die Autorin eine Liste gemacht und so jeder einzelnen Figur ihren eindeutigen Charakter zugewiesen.
Für mich als Hörerin dieses Hörbuchs stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, die Welt, in der sich diese Geschichte ereignet, tatsächlich in Gut und Böse einzuteilen. In unserer realen Welt wäre diese Einordnung der Charaktere wohl nicht derart einfach möglich.
Führt das Denken in unterschiedlichen Kategorien wie Schwarz und Weiß nun dazu, dass die Geschichte leichter wird? Nein, denn wie ich eingangs schon sagte, diese Geschichte ist anfangs alles andere als einfach und man braucht einige Tage, um sich mit der Handlung auseinanderzusetzen.
Dieses Buch oder auch dieses Hörbuch ist somit nichts, was man an einem Abend zur Entspannung hören sollte, sondern eher etwas, das die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht. Zu behaupten, man könne dieses Buch nicht aus der Hand legen, dieses Hörbuch nicht abschalten, wäre vermutlich kontrovers zu diskutieren.
Tatsächlich benötigt man zunächst einen Zugang zu dieser Geschichte und insbesondere zu dem herzensguten Martin, der anfangs doch irgendwie blass und unscheinbar wirkt. Wenn man diesen Zugang dann erst einmal gefunden hat, wird es tatsächlich schwer, das Hörbuch auszuschalten, denn ab diesem Moment entwickelt sich die Geschichte vergleichsweise zügig und unerwartet lebendig.
Leider verstärkt sich in diesem Moment aber auch das Gefühl, in Kategorien zu denken, denn in dem Moment, wo Martin in die Welt außerhalb seines Dorfes eintaucht, wird die Art, mit der dieses Kategoriendenken veranschaulicht wird, noch ein wenig plakativer.
Wobei, man muss sagen, dass plakativ in diesem Fall nicht unbedingt blass oder gar farblos heißen muss, denn die Orte und Figuren erscheinen bei aller Sichtbarkeit schillernd und vielschichtig. Ja, tatsächlich habe ich den Eindruck, man könnte diese Geschichte auch mit ebensolchen Figuren ins Theater bringen. Die Extravaganz der Figuren gäbe dieses mit Sicherheit her.
„Junge mit schwarzem Hahn“ von Stefanie vor Schulte: Eher wie ein Theaterstück inszeniert
Während ich das Hörbuch zu diesem ungewöhnlichen Roman hörte, fühlte ich mich in vielerlei Hinsicht an ein Theaterstück erinnert. Ursächlich hierfür war die vermeintlich szenische Darstellung, die mich an eine Theaterinszenierung denken ließ. Aber auch das schillernde, das trotzdem eine einfache Botschaft aussendete, ließ mich an ein Theaterstück denken.
Bei Bilderbüchern oder Kinderbüchern im Allgemeinen frage ich mich manchmal, was wohl die Moral von der Geschichte ist. Bei diesem Roman, der sich eindeutig an Erwachsene richtet, fühlte ich mich ein ums andere Mal mit dieser Frage konfrontiert, da ich mir zunächst die Frage stellte, was mir die Geschichte eigentlich mitzuteilen suchte.
Nach der Botschaft, die diese Geschichte aussendete, suchte ich jedoch aufgrund ihrer schillernden Erscheinung zunächst vergeblich. Ja, tatsächlich ich überlegte ich, ob man dieses Hörbuch unterbrechen sollte, um es noch einmal zurückzustellen. Denn wie ich schon Eingangs sagte, war der Zugang zur Geschichte keinesfalls leicht zu erreichen.
„Junge mit schwarzem Hahn“ von Stefanie vor Schulte: Ein Gefühl von zeitloser Leere
Nun, ein Problem war sicher auch, dass man sich bei dieser Geschichte nie ganz sicher sein konnte, wann sie sich genau zugetragen hat. Theoretisch könnte sie sich im Mittelalter zu tragen, wo die Industrialisierung noch nicht stattgefunden hat, die Religiosität und das dörfliche Leben noch allgegenwärtig sind, aber dieses mittelalterliche Konzept, welches einerseits so gut zu der Geschichte passt, scheint andererseits in der Passivität der handelnden Figuren begründet zu sein.
Ist das Dorf also möglicherweise als aus seiner Zeit gefallen zu betrachten? Leben die Figuren in einer Art Blase, um die herum sich die Welt ganz normal weiter entwickelt hat? Nun, ich bin mir sicher, jeder, der diese Geschichte hört, wird im Verlaufe des Romans seine Antworten finden, denn tatsächlich scheint es Einflüsse zu geben, die auf die Zeitwahrnehmung einwirken.
Ob dies aber nun wirklich so ist, ist für mich als Hörerin des Romans nicht ganz greifbar geworden, wohl aber bietet sich diese Spekulation an, denn die Ereignisse, die sich zum Ende der Geschichte hin zu überschlagen scheinen, sprechen nicht nur für eine deutliche Beschleunigung kurz vor Ende, sondern auch für eine entsprechende Entwicklung.
Apropos Entwicklung, auch einige der Figuren, nämlich jene, die nicht unbedingt in diesen schwarz-weiß Denken hineinpassen, scheinen sich weiterzuentwickeln.
„Junge mit schwarzem Hahn“ von Stefanie vor Schulte: Eine spürbare Entwicklung
Kann man diese Entwicklung, die sich im Verlauf von „Junge mit schwarzem Hahn“ von Stefanie vor Schulte ergibt, irgendwie greifen? Vermutlich stellen sich viele von euch diese Frage und ja, meiner Meinung nach kann man die Entwicklung vor allem an der Figur des Martins greifen, der seine Aufgabe nicht nur annimmt, sondern sie akzeptiert und durch sie aufzuleben scheint.
Auch wird im Verlauf der Geschichte deutlicher, was eigentlich der innere Antrieb von Martin ist. Leider bleiben aber durch die Entwicklung, die Martin durchläuft, einige der anderen Figuren in ihrer Entwicklung gefühlt stehen, sodass die Figur des Martins durch das Stehen bleiben der übrigen besonders stark hervorzutreten scheint.
„Junge mit schwarzem Hahn“ von Stefanie vor Schulte: ein Debüt mit prägendem Stil
Als ich erkannte, dass es sich bei „Junge mit schwarzem Hahn“ von Stefanie vor Schulte um ein Debüt handelte, war ich doch ein wenig verblüfft, denn tatsächlich wäre ich selbst nicht auf die Idee gekommen. Zwar war der Stil weniger schillernd als die Geschichte selbst, hielt sich in Teilen deutlich zurück, aber es war ein einheitlicher und ansprechender Stil erkennbar.
Persönlich glaube ich, dass diese Geschichte ein Roman ist, der als Geschichte für sich stehen bleiben wird, aber gleichwohl hoffe ich darauf, dass Stefanie vor Schulte weitere Geschichten dieser Art erzählen wird.
Vielleicht haben ihre Figuren dann eine andere Motivation, andere Herausforderungen, aber alles in allem bietet sich ihr Stil gut dazu an, Romane mit philosophischem Charakter zum Leben zu erwecken.
„Junge mit schwarzem Hahn“ von Stefanie vor Schulte: kein Fantasy-Roman und doch mit einem Fantasy-Element
Spannend aber nicht unbedingt hinsichtlich der Stilistik relevant, ist auch die Figur des schwarzen Hahns. In diesem zeigt sich nämlich das einzige Fantasy-Element, das diesen Roman prägt.
Könnte man einen Großteil der Geschichte als aus dem Mittelalter entlehnt interpreTieren, ist das Sprachtalent des Hahns auf diese Weise nicht zu erklären, denn Tiere haben auch im Mittelalter nicht gesprochen.
Genau genommen besaßen sie zu keiner Zeit eine Stimme. Doch dass der Hahn in dieser Geschichte eine Stimme besitzt, steht außer Frage. Schließlich warnt er Martin regelmäßig vor drohenden Gefahren und ist ihm ebenso ein guter Freund, wie auch sein Beschützer.
Da ich selbst verhältnismäßig selten Fantasy lese, bin ich bei solchen Elementen immer ein wenig skeptisch. Diese Skepsis stellte sich auch bei diesem alles andere als gewöhnlichen Roman ein. Die Freundschaft zwischen dem Hahn und dem Jungen war es nicht, die mich zweifeln ließ.
Vielmehr war es das Auftreten des Hahns, das mich in vielfacher Hinsicht überraschte. Mit einer derart lebendigen Darstellung eines Hahns hatte ich nicht gerechnet.
Über die Autorin Stefanie vor Schulte
„Stefanie vor Schulte, 1974 in Hannover geboren, ist studierte Bühnen- und Kostümbildnerin. Sie lebt mit ihrem Mann und vier Kindern in Marburg. ‚Junge mit schwarzem Hahn‘ ist ihr erster Roman.“ (Diogenes Verlag)
Über den Sprecher Robert Stadlober
„Robert Stadlober arbeitet als Schauspieler, Regisseur, Autor und Musiker. Der 37-Jährige spielte in über 100 Produktionen und wurde für sein wandlungsfähiges Spiel mehrfach mit verschiedenen Auszeichnungen geehrt.
Stadlober veröffentlichte in den letzten 20 Jahren verschiedene Alben mit unterschiedlichen Bands sowie Soloprojekte. Außerdem brillierte er in unzähligen Hörbuchproduktionen als Sprecher.“ (Sprecherbiografie beim Argon Verlag)
Fazit zu „Junge mit schwarzem Hahn“ von Stefanie vor Schulte
Letztlich ist „Junge mit schwarzem Hahn“ von Stefanie vor Schulte ein Roman, der mit seiner einfachen Rahmenhandlung doch um einiges komplexer scheint als man zunächst glaubt.
Obwohl dieser Roman so ganz anders war, als ich es erwartet hätte, gefiel mir die Geschichte alles in allem sehr und doch bin ich gespannt, welche weiteren Romanideen die Autorin noch schreiben wird, denn aufgrund ihres ungewöhnlichen Erzählstils sehe ich schon eine ganze Menge Potenzial.
Auch wenn „Junge mit schwarzem Hahn“ ganz sicher nicht für jeden Leser oder Hörer gleichermaßen geeignet ist, glaube ich schon, dass eine ganze Menge Leser und Hörer sich in der einen oder anderen Form mit der Geschichte auseinandersetzen können. Mir persönlich hat diese Geschichte nämlich gut gefallen, sie erschien mir außergewöhnlich.
Junge mit schwarzem Hahn
"Junge mit schwarzem Hahn" von Stefanie vor Schulte ist eine der ungewöhnlichsten Geschichte dieses Jahres und mit Sicherheit eine Geschichte, die berühren kann. Gleichzeitig ist es eine Geschichte, zu der ich mir den Zugang ein wenig erarbeiten musste. Denn eines war diese Geschichte nicht, einfach.
URL: https://www.diogenes.ch/leser/titel/stefanie-vor-schulte/junge-mit-schwarzem-hahn-9783257071665.html
Autor: Stefanie vor Schulte
Autor: Stefanie vor Schulte
ISBN: 978-3-257-07166-5
Veröffentlichungsdatum: 2021-08-25
Format: https://schema.org/Hardcover
URL: https://www.diogenes.ch/leser/titel/stefanie-vor-schulte/junge-mit-schwarzem-hahn-gesprochen-von-robert-stadlober-9783257694352.html
Autor: Stefanie vor Schulte; Robert Stadlober
ISBN: 978-3-257-69435-2
Veröffentlichungsdatum: 2021-08-25
Format: https://schema.org/AudioBook
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