Als ich „Bei den Wölfen“ von Sarah Hall vor einiger Zeit erhielt, war ich verwundert, denn der Titel sagte mir so gar nichts. Gleichzeitig machte mich das Cover neugierig und auch der Klappentext versprach eigentlich eine ganz interessante Geschichte. Also beschloss ich das Buch zu lesen, wenn ich ausreichend Zeit dazu hätte. Nun nahm ich das Buch zur Hand, begann zu lesen und … Naja, lest einfach selbst, was dann passierte.
Bei den Wölfen: Erwartungen
Ich las zunächst noch einmal den Klappentext:
„Eine starke Frau zwischen Wildnis und Zivilisation – „Sarah Halls Prosa ist meisterhaft.“ Chicago Tribune
Eigentlich wollte Rachel Caine nie mehr nach England und zu ihrer schwierigen Familie zurück. Die Wolfsexpertin lebt seit zehn Jahren in Amerika und geht in ihrer Arbeit auf. Doch dann stürzt das Angebot eines einflussreichen Lords, auf seinen Ländereien ein Wölfspärchen anzusiedeln, sie in Konflikte. Aber zu ihrer eigenen Überraschung sind ihre Heimkehr, eine ungeplante Schwangerschaft und die intensive Arbeit in der wilden Landschaft des Lake District die beste Medizin für ihre Seele. Sie kann sich sogar vorsichtig auf eine neue Liebe einlassen und kommt zur Ruhe. Bis ein unvorhergesehenes Ereignis die eigentlichen Motive ihres Arbeitgebers entlarvt.
In Sarah Halls außergewöhnlichem Roman verbinden sich eine lyrische und zugleich kraftvolle Sprache, starke und ungewöhnliche Bilder, vielschichtig-kantige Figuren sowie ein attraktives Thema zu einem Leseerlebnis der Extraklasse.“ (Klappentext)
Nach diesem Klappentext hatte ich unterschiedliche Erwartungen: Ich erwartete einen Abenteuerroman, der in der Wildnis spielt, einen Liebesroman ohne Kitsch und eine Gesellschaftskritik mit leisen Tönen. Was ich bekam, war wohl eine Mischung aus alldem und gleichzeitig alles außer das Erwartete.
Ein Paradoxon, vielleicht
Als ich mit dem Lesen dieses Buches begann, bekam ich zu Anfang viele ausführliche Naturbeschreibungen und wähnte mich schon in einem Abenteuerroman vor einsamer abgeschotteter Kulisse. Leider jedoch kam die Handlung nicht so recht in den Fluss des Abenteuers. Stattdessen plätscherte die Geschichte eher träge vor sich hin.
Die Gesellschaftskritik nahm dann mit ihrem Aufenthalt in England ihren Anfang und war sachlich intensiv, aber eher nüchtern vorgebracht. Auch hier ist der Verlauf des Handlungsbogen sehr langsam. Mittlerweile waren auf diese Weise die ersten hundert Seiten gelesen. Warm geworden bin ich mit dem Buch nicht, stattdessen sah ich mich mit einer anderen Frage konfrontiert. Denn auch mit der Protagonistin konnte ich aufgrund der emotionalen Distanz der Erzählerin wenig anfangen.
Wenn der Protagonist und Erzähler seine Geschichte nicht trägt
Ich bekam keine Verbindung zu diesem Buch. Das Problem, welches ich mit diesem Buch hatte, lässt sich nach wie vor nur sehr schwer in Worte fassen. Am ehesten funktioniert das noch mit dem Begriff der emotionalen Distanz des Erzählers und der Protagonistin und dem Bild der Käseglocke.
Doch nicht nur die Protagonistin erscheint unnahbar wie eine einsame Wölfin auch der Erzähler erscheint insbesondere zu Anfang etwas undurchschaubar, da mit Vorschauen, Rückblicken, Außen- und Innenansichten gearbeitet wird. Es ist der Erzähltypus des allwissenden Erzählers, der der die Geschichte also bereits kennt während er sie erzählt.
In Verbindung mit der gewählten und wechselnden Erzählzeit wurde es für mich immer komplizierter und somit zusehends fremder. Das Buch erschien schwierig, da es in typischen Faktoren nicht festgelegt erschien und die Protagonistin in ihrer Käseglocke er unnahbar blieb.
Somit fängt bei diesem Buch niemand die Geschichte ab, denn die Hauptfigur selbst erschien einerseits als Handelnde, andererseits aber auch als Außenstehende. Ist sie dissoziiert? Ich weiß es nicht, aber es scheint vielfach so als ob die Handelnde ihre Handlung von Außen betrachtet, etwa so als sei sie gar nicht involviert.
Der Schreibstil
Bin im vorangegangen Abschnitt auf den Erzählstil und die Charaktere eingegangen, möchte ich euch an dieser Stelle kurz darauf eingehen, dass die Sprache linear, nüchtern, detailliert und anspruchsvoll ist. Teilweise hat man den Eindruck, dass die Autorin mit ihrer sprachlichen Stärke und Raffinesse bewusst eine derart komplexe und vielschichtige Protagonistin geschaffen hat. Es ist denkbar, dass besagte Protagonistin selbst als Personifizierung einer einsamen Wölfin zu verstehen ist. Das zeigt das eigentliche Können der Autorin.
Bei den Wölfen: Wer ist die Autorin Sarah Hall?
„Sarah Hall, Jahrgang 1974, studierte Literatur an der schottischen Universität St. Andrews. Sie hat bisher fünf Bücher veröffentlicht, die alle mit bedeutenden Preisen und Stipendien ausgezeichnet und von der Kritik bejubelt wurden. Feministische Themen und intensive Naturbeschreibungen verbinden sich in ihrem Werk, das in zwölf Sprachen übersetzt ist, auf überraschende, ungewohnte Weise. Sarah Hall lebt mit ihrer Familie in Norfolk.“ (Quelle)
Fazit
Fragt mich bitte nicht nach meiner Meinung zum Buch, denn ansonsten wird aus dieser eh schon sehr ausführlichen Rezension doch noch eine Analyse. Denn genau das ist es, was das Buch auszeichnet: die Nutzung der sprachlichen Stilmittel. Das Spiel mit Sprache, welches die Autorin gespielt hat, gefiel mir. Allerdings ist die Geschichte ein vergleichsweise komplexer Roman, der deutlich mehr will, als nur unterhalten. Genau das ist das Problem mit diesem Buch, die Unterhaltung tritt vor dem sprachlichen Können in den Hintergrund. Die Figuren erscheinen zwar vielschichtig, aber ebenso unnahbar. Fast wie ein Wolf, der in diesem Buch mehr zu sein scheint als nur ein Motiv.