Wenn man ein Buch liest, fragt man sich manchmal: Wer ist eigentlich die Person hinter dem Buch? Ich gebe die Frage nun weiter. Wer bist du? Was tust du, wenn du nicht gerade schreibst? Hast du Familie? Übst du noch einen Beruf aus?
Regina Schleheck: Ich habe eine große Familie und einen aufwändigen Hauptberuf, mit dem ich meine Familie ernähre. Schreiben ist Luxus, aber da ich durch die Kinder gelernt habe, mit wenig Schlaf auszukommen, und schnell schreibe, hole ich das Optimum aus den kleinen Zeitfenstern heraus, die mir bleiben.
Große Familie heißt: Ich habe alleine fünf Kinder groß gezogen. Drei sind mittlerweile selbständig, aber zwei muss ich noch durch Ausbildung/Studium bringen. Zur Zeit muss ich außerdem meine Mutter pflegen.
Aufwändiger Beruf heißt: Ich bin Oberstudienrätin an einem Berufskolleg und unterrichte angehende Abiturienten und Fachhochschüler in den Fächern Deutsch, Sozialwissenschaften, Sport und Praktische Philosophie. In allererster Linie unterrichte ich aber Deutsch. Wer eine Vorstellung davon hat, was es heißt, Oberstufen-Deutsch-Klausuren zu korrigieren, weiß, dass ich zu den LehrerInnen gehöre, die keinen Feierabend, kein Wochenende und keine unterrichtsfreien Zeiten kennen.
Wie kamst du eigentlich zum Schreiben?
Regina Schleheck: Zufällig. Ich wollte einen meiner Söhne animieren, an einem Schreibwettbewerb teilzunehmen. Er hatte keine Lust, sagte: „Wenn du meinst, dass das so einfach ist, mach doch selbst.“ Pädagogisch wertvoll, wie ich war, schrieb ich eine Kurzgeschichte. Und hatte keinen Erfolg. Mein Sohn ließ sich nicht ermutigen. Aber bei dem Wettbewerb hatte ich mich platziert und die Teilnahme an einer Schreibwerkstatt gewonnen. Da ging ich nicht hin. Weil: Ich schrieb ja gar nicht. Ein Jahr später siegte der Geiz. Ehe ich den Gutschein wegwarf, ging ich hin. Schrieb am Abend zuvor wieder eine Kurzgeschichte, weil es ja irgendwie peinlich gewesen wäre, wenn ich nichts hätte vorweisen können. Mit der Geschichte gewann ich in dem nächsten Wettbewerb den zweiten Preis. Da begann ich neugierig zu werden und probierte alle Genres aus, schrieb Hörspiele, Drehbücher, Lyrik, Essays, Kurzromane, Erzählungen, ein Kindertheaterstück und immer wieder Kurzgeschichten – und wurde für fast jeden Versuch nominiert oder ausgezeichnet. Ein guter Motivationsschub.
Natürlich bin ich kein Genie. Dass es bei mir auf Anhieb klappte, hat mit meinem Werdegang zu tun. Ich habe seit meiner frühesten Jugend Bücher verschlungen. Dann habe ich Literaturwissenschaften studiert und in Kursen und im Unterricht gelehrt. Zwanzig Jahre lang habe ich meinen Kindern vorgelesen. Ich hatte also einen riesigen Fundus, das Handwerk gründlich studiert und viel Erfahrung damit, wie Texte bei Rezipienten ankommen. Das verschafft mir bis heute große Vorteile. Ich coache auch andere AutorInnen, mache Mentoring, kann auch im Lektorat gut nachvollziehbar machen, wie ein Text optimiert werden kann – ohne ihm seine Besonderheit zu nehmen, im Gegenteil.
Gibt es eine Sache aus deinen Anfängen als Autor an die du dich gerne erinnerst, die du später eventuell deinen Enkeln erzählen würdest?
Regina Schleheck: Auf meiner ersten Lesung trug ich eine Geschichte vor, in der die Ich-Erzählerin mit ihrem Vater, einem Alkoholiker, abrechnet. Mehrere Zuschauer kamen anschließend zu mir und bedauerten meine schwere Kindheit. Sie wollten nicht glauben, dass die Geschichte ausgedacht war. Mein Vater war längst tot, der muss sich im Himmel schibbelig gelacht haben.
Hast du schon Bücher veröffentlicht oder Geschichten? Welches war die erste Geschichte oder das erste Buch?
Regina Schleheck: Die erste Story schrieb ich 1999. 2002 wurde der erste Wettbewerbsbeitrag in einer Gewinner-Anthologie veröffentlicht. Eine Vampirstory, erschienen im Wurdack-Verlag.
Wie lange dauerte es bis zur ersten Veröffentlichung? Welche Hürden gab es?
Regina Schleheck: Veröffentlichen war gar nicht das Ziel zunächst, es war eher ein Ausprobieren. Aber wenn man einen Wettbewerb gewinnt, wird man auch schon mal veröffentlicht. Und da ich häufig ausgezeichnet wurde, kriegte ich Verlagsverträge und Anfragen, ob ich nicht einen Einzeltitel veröffentlichen wollte. 2008 erschien ein erstes kommerzielles Hörspiel, das mit dem Deutschen Phantastikpreis augezeichnet wurde. Im Jahr darauf der erste Kurzgeschichtenband mit meinen Storys und das nächste Hörspiel. Zwischenzeitlich wurde ich selbst als Herausgeberin tätig und habe bis zu 50 eigene Projekte pro Jahr veröffentlicht. Der erste Roman erschien erst 2016, den habe ich in sechs Wochen Sommerferien rausgehauen.
Den Alltag von Autoren stelle ich mir immer wahnsinnig spannend vor und ich glaube vielen Lesern meines Blogs geht es ähnlich. Vielleicht bringst du ja ein bisschen Realität in unsere Vorstellung: Wie ist es tatsächlich? Wie ist dein Tagesablauf typischerweise?
Regina Schleheck: Wie gesagt: Ich schreibe nur, wenn ich ein Zeitloch herausgearbeitet habe. Dafür bleibe ich auch gerne schon mal lange auf. Sehr wertvoll sind mir Auszeiten wie etwa ein jährlicher Aufenthalt in Schweden in den Sommerferien, den ich mit drei anderen Autorinnen im Haus einer Freundin verbringe, eine wunderbare Zeit mit sehr langen Tagen und inspirierenden Gesprächen in wunderbarer Natur und Abgeschiedenheit.
Hast du so etwas wie Schreib- oder Rechercherituale? Welche?
Regina Schleheck: Ohne Recherche kein Schreiben. Je nach Thema oder Plot ist es mehr oder weniger aufwändig, klar. Aber auch das Recherchieren empfinde ich als Geschenk. Man kann viel lernen. Rituale beim Schreiben gibt es eher nicht. Ich versuche bei längeren Arbeitszeiten am Rechner rückenschonende Sitzpositionen zu finden. Und ausreichend zu trinken. Abends kann es auch ein Glas Wein sein.
Wo schreibst du besonders gerne? Und warum?
Regina Schleheck: In meinem Arbeitszimmer am Rechner. Im Garten gibt es zu viele Störfaktoren: Wind, Licht, Insekten, Nachbarn. Wenn dann noch die Wlan-Verbindung wackelt …
Ja, ich weiß, bis hierher musstest du schon viele Fragen beantworten. Aber die Leser meines Blogs sind sicher sehr neugierig. Also kommen wir nun zum Thema Recherche. Wie gehst du üblicherweise vor?
Regina Schleheck: Vor allen Dingen nutze ich das Internet. Recherche-Reisen kriege ich nicht bezahlt und meist fehlt mir auch die Zeit. An zweiter Stelle stehen Anrufe bzw. Mails, lieber aber Anrufe, weil es oft kniffelige Fragen sind oder ich nachfragen muss. Kürzlich wollte ich in einem Krimi jemanden in einer Wallfahrtskirche an den Opferstock gehen lassen. Die Kirche ist kunsthistorisch sehr bedeutsam, man findet alles über sie im Netz. Nur nicht, wo der Opferstock steht. Ich erreichte schließlich den Küster und habe erst einmal unverfängliche Fragen gestellt. Schließlich sollte er nicht den Eindruck gewinnen, ich wollte die Kirche ausrauben. Er hat mir eine gute halbe Stunde einen so begeisterten Vortrag über all die Kunstschätze gehalten, dass ich mich am Ende geschämt habe, so etwas Profanes in so einer tollen Kirche zu beschreiben.
Wenn ich gar nicht voran komme, gebe ich Fragen in die Mailinglisten des „Syndikats“ (Autorengruppe deutschsprachiger Krimiautoren) oder der „Mörderischen Schwestern“ (Netzwerk der Liebhaberinnen weiblicher Krimis), da liest immer jemand mit, die/der sich auskennt – weil sie/er Fachwissen zu der Frage hat oder selbst dazu recherchiert hat. Oder ich stelle die Frage bei Facebook. Neulich hat mir dort jemand die Telefonnummer eines Piloten zukommen lassen, der mir ganz tolle Infos geben konnte. Meine Protagonistin war mit einem Kleinflugzeug unterwegs und ich hatte null Ahnung, was da im Cockpit so abgeht. Im Allgemeinen ist es erstaunlich, wie bereitwillig Menschen einem wildfremden Anrufer, der sich für etwas interessiert, womit sie sich auskennen, Auskünfte geben. Und immer wieder schön.
Wie schätzt du deine Verantwortung für eine korrekte und umfassende Recherche ein? Gibt es so etwas wie eine Verantwortung für den Leser?
Regina Schleheck: Ich schreibe fiktionale Texte, daher bin ich keiner Wahrheit verpflichtet. Aber es macht die Geschichte authentischer im Sinne eines „So-könnte-es-tatsächlich-gewesen-sein“-Effekts. Und ich greife gerne reale Geschehnisse oder geschichtliche auf, verpacke sie in neue Bilder und gebe der Story damit eine Doppelbödigkeit, die natürlich nur derjenige erkennt, der die dahinter stehende Geschichte kennt. Schreiben ist ja im Grunde ein freibleibendes Angebot. Was der Leser davon mitnimmt und wie er es versteht, unterliegt seiner Deutungshoheit, nicht meiner. Ich gebe nur Hinweise.
Wie verändert deine Recherche eine Figur im Buch? Gibt es Zusammenhänge?
Regina Schleheck: Einiges dazu habe ich ja schon gesagt. Ich gehöre zu denjenigen AutorInnen, die ihre Figuren und Plots nicht tausendprozentig planen. Bei Kurzgeschichten weiß ich oft gar nicht, worauf es hinauslaufen soll, wenn ich anfange. Daher: Ja, die Figuren entstehen beim Schreiben. Und entwickeln sich schon mal anders als gedacht. Auch aufgrund von Recherche.
Nutzt du bei der Figurenplanung auch reale Vorbilder? Wer inspiriert dich zu neuen Figuren?
Regina Schleheck: Durchaus. Mein im letzten Jahr bei Gmeiner erschienene Roman erzählt die Geschichte von Jürgen Bartsch, einem jugendlichen Mörder aus der Nachkriegszeit, der das Ruhrgebiet in Angst und Schrecken versetzte, weil er Jungen sadistisch zu Tode quälte. Auch sonst gehe ich beim Schreiben gerne realen Geschehnissen nach, die mich beschäftigen. Ich versuche besser zu verstehen, wie Dinge passieren konnten, und den Geschehnissen eine neue Wendung zu geben.
Wie wählst du den Ort oder die Orte deiner Handlung?
Regina Schleheck: Oft ist der Ort vorgegeben, weil ich gebeten werde, zu einer bestimmten Region, einem bestimmten Ort etwas zu schreiben. Ansonsten wähle ich natürlich gerne Schauplätze, die ich kenne, weil ich sie authentischer beschreiben kann. Oder lerne – meist virtuell – neue kennen. Gelegentlich werde ich nach der Veröffentlichung eingeladen, in dem jeweiligen Ort zu lesen und bin jedes mal verblüfft, dass alles so ist, wie beschrieben, es sich aber dennoch oft anders „anfühlt“, als ich es mir vorgestellt habe.
Wie planst du die Handlungen?
Regina Schleheck: Ich habe immer vorher im Kopf, was das Hauptproblem ist. Aber ich experimentiere gern, daher lasse ich die Handlung gerne ein Stück weit laufen und bin am Ende über das Ergebnis selbst ein wenig überrascht. Und begeistert.
Woher nimmst du Ideen?
Regina Schleheck: Überall her. Zeitung, andere Medien, Alltagsbeobachtungen, Lektüreerfahrungen. Schreiben ist wie Arbeiten mit einem Chemiebaukasten. Lauter Zutaten aus verschiedenen Gebieten. Gelegentlich knallt‘s.
Eine letzte Frage zum Schluss: Sind schon neue Projekte in Planung?
Regina Schleheck: Jede Menge. Ich habe gerade das Skript zu „Wer mordet schon in Leverkusen und im Bergischen?“ (Arbeitstitel, Gmeiner Verlag 2018) abgegeben. Das Konzept: elf Kurzkrimis und 125 Sehenswürdigkeiten zu den Storys. Ein neuer Roman, „Bad Salzuff“ (Arbeitstitel, Edition Oberkassel) erscheint nächstes Jahr, außerdem ein Hörbuch zu Jürgen Bartsch, von mir eingelesen. Und ich muss das nächste Skript angehen: „Wer mordet schon in Wuppertal und im Bergischen?“ (Arbeitstitel, Gmeiner Verlag 2019). Na, und zwischendrin immer wieder Kurzgeschichten oder andere Formate. Aktuell habe ich hier eine Literaturgesprächsreihe ins Leben gerufen. Bin sehr gespannt, wie die ankommt. Und natürlich ein paar ungelegte Eier, über die ich noch nicht reden mag. 😉
Wer ist Regina Schleheck?
„Regina Schleheck hat sich im Krimi und in der Phantastik einen Namen gemacht. Ihr wurden mit dem Friedrich-Glauser-Preis der deutschsprachigen Krimiautoren und dem Deutschen Phantastikpreis die begehrtesten Auszeichnungen beider Genres zugesprochen – neben vielen anderen. Die 1959 in Köln geborene hauptberufliche Oberstudienrätin, fünffache Mutter sowie freiberufliche Autorin, Herausgeberin und Lektorin veröffentlicht seit 2002. Unter ihrem Namen sind Hunderte Kurzgeschichten erschienen, zudem Hörspiele, Lyrik, Theaterstücke und Drehbücher. Seit 1996 wohnt Regina Schleheck in Leverkusen. Sie gehört den »Mörderischen Schwestern« und dem »Syndikat« an.“(Quelle: Gmeiner Verlag)
Regina Schlehecks aktuelles Buch
„Langenberg, 1966. Der Fall Bartsch erschütterte die Nachkriegs-BRD wie kein anderes Kapitalverbrechen. Jürgen Bartsch, der nach einer Kindheit voller Kälte und Missbrauch zu einem sadistischen Soziopathen wurde, lockt Kinder von Kirmesplätzen in Essen und Umgebung, um sie zu quälen, zu missbrauchen und zu ermorden. Bei der Jagd nach dem Kirmesmörder gerät eine ganze Region in Panik. Als Jürgen Bartsch schließlich gefasst wird, fordern die Menschen Vergeltung.“(Quelle: Amazon)
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