… ihre Leser mit, sagt man oftmals. Doch was ist, wenn ein Buch, das der Phantasie entsprang, derart realistisch ist, das es den Leser bereits nach 21 Seiten so sehr in seinen Bann zog, dass man es nicht mehr aus der Hand legen möchte und es sogar mit der Realität vergleicht?
Ein solches Kunststück gelang der Autorin Andrea Sawatzki, die ich heute Abend in einer Lesung erleben darf, bereits bei ihrem Debütroman „Ein allzu braves Mädchen“. Der Roman selbst erzählt von einer Frau, die in eine Psychiatrie eingeliefert wird nachdem sie aufgefunden wurde.
Kurze Zeit später wird die Leiche eines Mannes gefunden. Nackt, im Schlafzimmer seiner Villa, mit einer scharfkantigen Waffe ermordet. Währenddessen beginnt die geheimnisvolle Frau in der Psychiatrie zu reden. Sie erzählt der Psychiaterin Teile ihres Lebens. Diese Teile ziehen den Leser immer tiefer in die Geschichte hinein. Doch schon bald muss sich der Leser des Buches fragen, wie viel „fiktive Realität“ in den Erzählungen steckt. Der Schreibstil, in dem Andrea Sawatzki diese Geschichte erzählt, lässt sich als nüchtern-distanziert beschreiben. Ihr Erzähler erscheint allwissend und doch scheint er unbeteiligt zu sein.
Die im Buch beschriebenen Szenen erinnern mich persönlich insbesondere in Hinblick auf ihre Emotionalität stark an eine Sammlung von Zeitungsartikeln, obwohl es vom Aufbau her tatsächlich kurze Szenenbilder sind. Wer sich bei diesem Buch das Kopfkino wünscht, wird enttäuscht sein, da es eher wie ein Theaterstück wirkt: Spotlight auf eine Szene, Cut, Spotlight auf eine neue Szene. Übergangslos.
Die beschriebenen Ausschnitte zeigen glaubwürdige und an der Realität orientierte Darstellungen des Alltags in einer Psychiatrie. Die einzelnen Kapitel sind kurz und auf das Wesentliche reduziert. Die plakative Erzählweise von Andrea Sawatzki überzeugt durch ihre Deutlichkeit. Absolut schnörkellos und in sich stringent erzählt sie die Geschichte ihrer Protagonistin. Dennoch bleibt der Leser in vielen Fällen außen vor, gerade auf der emotionalen Seite.
Die Geschichte überträgt sich nicht aufgrund ihres emotionalen Reichtums auf den Leser. Gerade die Nüchternheit der Erzählweise verstärkt den Effekt, die Empfindungen der Protagonistin selbst zu durchleben. Dieses Buch geht unter die Haut und lässt seinen Leser aufgewühlt zurück.
Gute Bücher sind authentisch und reißen …
13. Juni 2013
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